Greding
Unruhige Zeiten aus anderer Perspektive

Willi Weglehner stellt in Greding sein neues Buch über die 68er vor - Premiere für Duo

02.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:37 Uhr
  −Foto: Karch

Greding (HK) Er ist dort angekommen, wo er schon immer hin wollte: Willi Weglehner kann sein Buch im Innenhof des Gredinger Rathauses vorstellen.

Kein Regen, keine Gewitterwolken sorgen wie in den Jahren zuvor dafür, dass der Thalmässinger Schriftsteller mit der Lesung in das Rathausfoyer oder das Archäologiemuseum ausweichen muss. Und sein Wunschort bildet den passenden Rahmen für die Vorstellung von "68 Wat denkste, Karfunkel? " und die musikalische Umrahmung durch das Duo Mathias Herrler und Werner Minameyer.

Viele Weggefährten von Willi Weglehner sind gekommen, so viele, dass die Kulturamtschefin Bettina Kempf immer neue Stühle heranschaffen muss. Das tut sie gerne, verspricht die Rückblende in die bewegte Zeit der 68er doch eine Geschichtsstunde der ganz besonderen Art. Und in der hat sie mehr gelernt als in vielen anderen zuvor, wird sie, die Landesgeschichte studiert hat, am Schluss der Lesung noch ganz unter dem Eindruck des eben Gehörten sagen.

Auch wenn das Thema der Studentenunruhen mit dem Tod von Benno Ohnesorg und dem Attentat auf Rudi Dutschke eigentlich ein ernstes ist, wird an diesem Abend auch gelacht. Das ist nicht verwunderlich, wenn Menschen, die sich seit Jahrzehnten kennen, aufeinandertreffen. Da wird gefrotzelt, was das Zeug hält, wenn Ambros Minameyer im T-Shirt von Frank Zappa auftaucht, Weglehner aber ein gestreiftes Hemd trägt ("Da hätte ich mein Che-Guevara-Shirt anziehen müssen, wenn ich denn eins hätte"), wenn stellvertretender Bürgermeister Oswald Brigl, seinen ehemaligen Kollegen als "Starautor" willkommen heißt und Weglehner daraufhin droht, er werde "unter dem Absingen hässlicher Lieder den Saal verlassen". Doch Brigl bleibt gelassen: "Er fällt einem dauernd ins Wort, das hat er im Lehrerzimmer schon immer gemacht", sagt er grinsend. "Wer in dem Buch das Leben des Autors entdeckt, liegt nicht ganz falsch", spielt Brigl auf Weglehners wilde Zeiten an, als der noch der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten angehörte.

"Like A Bridge Over Troubled Water" des Duos Mathias Herrler und Werner Minameyer, das an diesem Abend zum ersten Mal miteinander spielt, leitet zur Lesung über, versetzt die Zuhörer in den Garten von Ewald Karsunke, genannt Karfunkel, der beim Schneiden der Rosen immer die besten Ideen hat und der in Gedanken die Zeit um Jahrzehnte zurückdreht. So wie damals tut er sich mit seinem Freund Wex zusammen und macht als Revivalband auf der Straße Musik, vor allem von Simon and Garfunkel, Bob Dylan und Co. Dabei erinnert er sich immer mehr an die früheren Zeiten mit hehren Idealen und großen Ideen, mit dem Glauben an die Revolution. "Außer Schrammen an Körper und Seele ist damals nichts herumgekommen", muss er irgendwann feststellen. Als Meister der detaillierten und plakativen Schilderung nimmt Weglehner seine Zuhörer mit, lässt sie die Demonstrationen der Studenten gegen den Schahbesuch aus einer ganz anderen Warte als der von Nachrichten und Dokumentationen miterleben, lässt sie das Entsetzen spüren, dass ausgerechnet der Pazifist Benno Ohnesorg bei seiner ersten Demonstration von hinten in den Kopf geschossen wird, lässt sie die Blaulichter in der Nacht sehen und die Martinshörner hören, die Wasserwerfer, "die ihre silbrig glänzende Ladung in die Massen" schießen. Für Weglehner ist der Schuss auf Ohnesorge "ein kaltblütiger Mord, mit dem ein Exempel statuiert" werden sollte, "rechtlich und moralisch abgesichert". Damit werden für ihn die Juristen von den "Rechtsvertretern zu den Rechtszertretern".

Weglehners Protagonist Karfunkel liegt nach der Prügelattacke von rechten Glatzköpfen neun Tage im Koma - und doch gibt nicht dieser brutale Überfall den Ausschlag für den Plan, den er ausheckt. Es ist der Tod eines Obdachlosen, der vor der Tür einer Privatklinik stirbt, weil ihn keiner behandeln will. Für Karfunkel ist das der Beweis, dass sich das System nicht zum Guten verändert hat, sondern vielmehr noch "gnadenloser und menschenverachtender" geworden ist.

Ihn ergreift tiefe Scham, nichts unternommen zu haben. Er schwingt sich zum Anwalt der kleinen Leute auf, stellt in ihrem Namen Forderungen und lässt die Großen zittern. "Der Staat ist am Ende" steht in Karfunkels Manifest, in dem er davor warnt, diese Nachricht nicht ernst zu nehmen.

Auch wenn Weglehners Buch doch noch versöhnlich endet, ist diese Lesung "nicht ganz so lustig heut'". So will er seine Zuhörer nicht entlassen und erzählt die altbekannte Geschichte, dass einst die Thalmässinger Fußballer aus Wut darüber, so hoch gegen die Gredinger verloren zu haben, von der Bahnbrücke aus Odel auf den offenen Transporter der Gegner geschüttet haben - eine Geschichte, bei der Weglehners Fabulierkunst voll zum Tragen kommt. Ebenso wie die des Gstanzlschreibers Mathias Herler, der zuvor musikalisch zu dieser Geschichte übergeleitet hat. Das Verhältnis zwischen Greding und Thalmässing sei erst besser geworden, so Weglehner, als "einige zamgheirat ham". Aus diesen Ehen seien Friedenskinder hervorgekommen und "dia forn sugor zum Clubb mitanander nei. "

Andrea Karch