Ingolstadt
Unheimlich still

Silvesternacht verläuft überwiegend regelkonform - Polizei spricht der Bevölkerung großes Lob aus

01.01.2020 | Stand 06.01.2021, 3:33 Uhr
Die Polizeistreifen patrouillierten auf einsamen Straßen, hier die Fußgängerzone in der Silvesternacht gegen 23 Uhr. −Foto: Hauser

Ingolstadt - Kurz vor Mitternacht wird es am Brückenkopf plötzlich laut.

Ungewohnte Geräusche dringen in die friedvolle Stille, die über der Stadt liegt. Sie schallen von der Donau her, schwellen rasch zu wildem Gekreische an. Möwen. Es muss ein riesiger Schwarm sein, der da durch die Dunkelheit segelt. Wo sonst um diese Zeit kiloweise Kracher detonieren und Raketen gen Himmel zischen, geben jetzt Wasservögel den Ton an. Konkurrenzlos laut. Seit es die Tradition gibt, ein neues Jahr mit Getöse zu begrüßen, war es in Friedenszeiten vermutlich noch nie derart still.

Auf der Adenauerbrücke wachen einsam und mit Sicherheitsabstand sechs Kollegen und eine Kollegin des BRK-Rettungsdiensts. Sie haben in dieser außergewöhnlichen Nacht Schicht. Ihre drei Einsatzfahrzeuge stehen auf der Parkstraße. Auch die jungen Rettungskräfte lauschen amüsiert dem Möwengekreische auf der Donau. "Die hört man sonst nie. "

24 Uhr. Das BRK-Team steht immer noch ganz allein auf der Brücke. Man wünscht einander viel Glück in einem hoffentlich erfreulicheren Jahr 2021. Nur Sekunden später gibt es Alarm. Eine Besatzung eilt zu ihrem Wagen. Blaulicht. Und ab.

Viele Werktätige werden die böllerfreie Zone in der Altstadt als sehr wohltuend empfinden. Kräfte von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und Straßenreinigung gehören definitiv dazu. Die völlige Ruhe mitten in einer Großstadt hat allerdings auch etwas Unheimliches. Der Grund für die staatlich verordnete Stille ist alles andere als beruhigend: die Corona-Katastrophe. Hunderte Covid-Tote jeden Tag in Deutschland, Tausende auf der ganzen Welt. Da verbieten sich Feiern. Zur Ausgangssperre ab 21 Uhr (seit 16. Dezember in Kraft) kommen ein Versammlungs- und Alkoholverbot in der Öffentlichkeit. Böllerverkauf war nicht gestattet. In der Innenstadt darf keine Pyrotechnik abgebrannt werden - wie schon vor einem Jahr, in einer fernen Zeit, als man beim Begriff Corona nur an den Strahlenkranz der Sonne oder eine Biersorte dachte.

Die Polizei wacht mit Personal in großer Zahl darüber, dass alle Hygieneschutzregeln eingehalten werden. Die Beamtinnen und Beamten bekommen Unterstützung von der Bereitschaftspolizei in Eichstätt. Die Streifen patrouillieren seit dem frühen Abend über verlassene Straßen. Nur vereinzelt treffen sie nach Inkrafttreten der Ausgangssperre Passanten an. Die werden kontrolliert. Gassi-Geher sind auch nach 21 Uhr legal unterwegs. "Wir wollen gesehen werden - ganz offen und möglichst frühzeitig", sagt Polizeihauptkommissar Sebastian Dorsch, der Einsatzleiter in dieser Nacht, gegen 23 Uhr dem DK. Die Polizei werde alle Regeln "konsequent durchsetzen, "aber immer mit Augenmaß". Man werde in der ganzen Stadt und in den Nachbargemeinden kontrollieren. Die Einsatzkräfte fahren auch ihnen gut bekannte Party-Brennpunkte ab. Dorsch betont: "Die Botschaft der Polizei ist, dass es nicht um möglichst viele Bußgeldverfahren geht, sondern um Gesundheitsschutz. Wir müssen die Infektionsketten durchbrechen! "

Kurz vor dem Jahreswechsel ist der Einsatzleiter von der Ruhe in der Innenstadt und der Disziplin der allermeisten Bürger angenehm überrascht. "Es ist für uns heute eine Wundertüte. " Die Polizei wisse nicht, was auf sie zukomme. Schon bald erfahren die Kolleginnen und Kollegen auf Streife: Es ist zum Glück nicht so viel.

Um Mitternacht bleibt es in der Innenstadt ruhig. Auf den Straßen wird nicht geböllert. In den anderen Stadtteilen, wo Feuerwerk auf Privatgelände erlaubt ist, steigen wie gewohnt Raketen auf. Man hört aus der Ferne auch einige schwere Detonationen. Die pyrotechnisch veranlagten Ingolstädter scheinen stattliche Artilleriebestände gehortet zu haben. Ihre Abschussbasen liegen aber - so weit es die Polizei überblickt - auf zulässigem Terrain: Geballert wird Corona-korrekt hinter dem Gartentürl. Einige Ausreißer gibt es freilich immer.

Die Polizei fahre nicht jeder Rakete hinterher, sagt Dorsch. "Vor Ort ist ein Nachweis meist schwer zu erbringen. " Mit dem Rauch verziehen sich in der Regel auch die Feuerwerk-Fans.

Um 1 Uhr gibt Dorsch den nächsten Lagebericht ab: "Die Auflagen sind überwiegend beachtet worden. " Die Polizei habe "nur ganz vereinzelt" Personen angetroffen, die gegen die Ausgangssperre verstoßen hätten. Die Fälle würden "konsequent geahndet". Bußgeldverfahren folgen. Bis 1 Uhr mussten zwei bis drei kleinere Brände gelöscht werden. Kein Vergleich zu den Jahreswechseln traditioneller Art. "Da fährt die Feuerwehr ja toujours. "

Weitere Erkenntnisse dieser einzigartigen Nacht: Keine Ansammlungen, soweit die Streifen es feststellen können, keine Fest-Nester, keine eskalierenden Partys. "Wir sind absolut zufrieden", resümiert der Einsatzleiter. "Das war nicht unbedingt zu erwarten. Man muss der Bevölkerung ein großes Lob aussprechen! Unser Fazit ist durchweg positiv. " Dank "Einsicht und Vernunft" habe die Polizei an diesem Jahreswechsel weniger Arbeit gehabt als sonst, wenn die Massen unterwegs sind. Gut, fügt Dorsch an, "die Verbote sind auch hinreichend angekündigt worden. Keiner kann sagen, dass er davon nichts gewusst hat".

Irgendwo in der Ferne gehen letzte Böller hoch. Auf den leeren Straßen hallen die Detonationen um so heftiger. Sebastian Dorsch und seine Kollegin steigen in ihr Auto. Sie fahren weiter. In eine trotz allem unheimlich stille Nacht.

DK