Frankfurt
Ungebrochenes Interesse am Buch

Streifzug über die 71. Frankfurter Buchmesse: Lesungen, Gespräche und Stars zum Anfassen

18.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:48 Uhr
  −Foto: Hartung/Frankfurter Buchmesse, Stazol, Roessler/dpa

Frankfurt (DK) "Natürlich schwebt die Debatte um Peter Handke über der ganzen Messe", sagt Biruté Baranauskienè. Sie ist Product Manager des litauischen Verlages "Humanitas", da hat ihn die "New York Times gerade zu einem "Faschisten" erklärt, "mich hat er immer fasziniert, man muss doch die Kunst von dem Künstler trennen!"

Wir sitzen in den tiefen, tiefroten Plüschsesseln beim Empfang des Taschen-Verlages, um uns herum die riesigen Prachtbände des weltberühmten Reportagefotografen Sebastião Salgado, der an diesem Sonntag mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird - man darf die Folianten nur mir weißen Handschuhen blättern -, und über uns schwebt das beeindruckend mitreißende Geräusch, das hunderte plaudernde Menschen verursachen, in allen Sprachen der Welt, wenn die Verlage am ersten Abend in den riesigen, heiligen Hallen den Buchmessen-Beginn in Frankfurt feiern, und ein wenig auch sich selber.

Man hat den sehr beruhigenden Eindruck, dass Völkerverständigung eben doch funktioniert: Das norwegische Kronprinzenpaar eröffnet die größte Buchmesse der Welt, ist doch Norwegen der Ehrengast dieses Jahr, und so kann man endlich einmal Berühmtheiten wie Jo Nesbø lesen hören, Karl Ove Knausgård, nicht minder bekannt, spricht von seiner Schreibblockade, die ihn vier Jahre lang plagte, bevor er sechs Romane hintereinander hinlegte. Irgendwie beruhigend.

Der größte Star der Messe? Steve McQueen. Und ja, seine Augen werden himmelblau strahlen, wenn er seinen Preis der "Frankfurter Buchmesse Film Awards" entgegennehmen wird. Einen Superstar braucht's halt auf der Messe, obwohl die Vergabe eines Filmpreises hier eher eine Veranstaltung am Rande ist. Einer der größten Stars unter den Literaten könnte die Schriftstellerin Margaret Atwood sein, wenn sie noch einmal ihren visionären Roman "Die Geschichte der Dienerin" erörtert, der ein totalitäres, religiös-fundamentalistisches

Amerika beschreibt, der Frauen unterdrückt bis ins Unmenschliche - die offensichtliche Parallelität zu einem gegenwärtigen wie zukünftigen Trump-Amerika hat Atwood wieder ins Rampenlicht gestellt. Da ist sie eben, die Macht des Buches, dass das Leben abbildet, voraussieht, auch voller Erinnerungen sein kann, wie kein anderes Medium, seit Jahrhunderten.

So bringt der Adelsexperte Rolf Seelmann-Eggebert sein "In Hütten und Palästen - ein Reporterleben" bei Random House heraus, diesem übermächtigen Verlagskonssortium, zu dem auch der deutsche Ableger des englischen Traditionslabels Penguin gehört, der wiederum die Bestseller-Autorin Dörte Hansen und ihre Heimat-Frauen-Literatur verlegt, immerhin 500000 Mal wurde sie verkauft. Es geht viel um Masse hier, der Buchhandel ist chronisch knapp bei Kasse, "der Markt wird immer schwieriger", diesen Satz hört man oft, an den Tischen der Stände ist jeder Platz besetzt, hier wird hart verhandelt, und dann verabschiedet man sich mit dem etwas eigenwilligen Gruß: "Gute Messe!" Aber wenn die Messe für alle Besucher geöffnet wird, zeigt sich schnell, dass das Interesse am Buch ungebrochen ist.

Es herrscht große Höflichkeit, aber ungeschlagen auch die Eleganz! Die Verlagsdamen in Kostümen, langen fließenden, plissierten Seidenröcken, kurzen Kleidchen. Die Herren der Verlage fast alle in Anzug und Krawatte. Nun, die Messe ist eben auch Laufsteg, ein Magnet des Marketings und der SelbstdarstellerInnen. Gut, der junge Mann dort kommt barfuß - aber: Wo, wenn nicht hier?

Nun also Beeilung, die kilometerlangen Laufbänder entlang, die Rolltreppen hinauf! Die nächste Lesung fängt gleich an! Nun gut, die deutsche Prominenz ist etwas flachbrüstig besetzt. Klaus Brinkbäumer wird am Samstag erwartet, und am Sonntag um zwölf ist auch Reinhold Messner da. Immerhin!

Und dann gibt es Autoren mittleren Alters mit fertigem Roman, auf Datenstick, mit einer kleinen Leseprobe, in einem eierschalenfarbenen Umschlag aus Büttenpapier, kalligrafisch in Tinte beschriftet, das muss doch klappen? Ganz so einfach ist es nicht: Bei Dumont, bei dtv, bei S.Fischer bedauern die Damen schon am Empfang, nein, man nehme hier keine Manuskripte entgegen. Und überaus freundlich begründet eine Dame aus Bayern, "es könnte auf der Rückreise nach München verloren gehen, dazu ist es zu schade, hier das Papier mit unseren Richtlinien, reichen Sie bitte dort ein". Der Lektor von Mairisch, einem kleineren Haus, zeigt zumindest Interesse? Immerhin!

Beim abendlichen Empfang nun steht eine aparte Schönheit, die den Schriftzug Diogenes auf ihrem Namensschildchen trägt. Nun schnell sie höflich und charmant angesprochen, "zufällig habe ich gerade meinen Roman dabei", und schon sprudelt die Story in zehn Sätzen heraus. Kerstin Beaujean, die Pressechefin des Zürcher Verlages wird den Stick gerne weitergeben, "aber ein wenig unkonventionell ist das schon!" Man bedankt sich mit Handkuss, ist über seinen eigenen Mut überrascht und wirft sich wieder ins mondäne Gedrängel.

Und manchmal, wenn die Reihen sich lichten und man ganz großes Glück hat, etwas abseits in den Seitengängen, lässt sich ein kleines Juwel finden: Wie etwa die Dichterin Catherin J. Nicely und ihren Poesie-Verlag PalmArtPress in Berlin. Gerne zeigt sie an einem winzigkleinen Stand ihre feinen, seidengebundenen Gedichtbändchen, auf Deutsch und Englisch. Und dann schlägt sie ihre himmelblauen Augen auf. Und ja, man dürfe gerne seine Sonette einreichen. Immerhin!