Unbeugsame Belgier

Kommentar

24.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:08 Uhr

Europaweit tobt derzeit ein Propagandafeuerwerk wie zuletzt, als sich die Briten aus der EU verabschieden wollten. Aber waren die Inselbewohner ohnehin von Anfang an eher Quertreiber in der Union gewesen, sind jetzt Belgier, also Gründungsmitglieder der Gemeinschaft, das Ziel von Empörung und Häme.

Ausgerechnet die Region Brüssel stellt sich wie Wallonien gegen Ceta, das Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und Kanada, und blockiert damit die Unterzeichnung. Beobachtern und den meisten Politikern fehlt jedes Verständnis für die angeblich bornierten Belgier, die sich gegen Wohlstand, Arbeitsplätze und Welthandel stellen.

Ganz anders sieht die Sache allerdings aus, ignoriert man die ideologisch aufgeladene heiße Luft der Ceta-Propagandisten: In jahrelangen Geheimverhandlungen haben sogenannte Experten, also Bürokraten und Lobbyisten, einen Vertrag ausgetüftelt. Den präsentierten sie sodann als unterschriftsreif, was nichts anders heißen sollte, als jetzt muss unterschrieben werden. Nach dem Willen der EU-Kommission wäre auf europäischer Seite das allein Kommissions-Aufgabe gewesen, also sofort erledigt. Handelsverträge der EU fallen schließlich in ihre Kompetenz.

Dummerweise geht es bei Ceta - ebenso wie bei TTIP, dem Abkommen mit den USA - aber nur zum Teil um Zölle und Handelshindernisse. Auf Druck der Nordamerikaner soll vielmehr gleich noch eine Paralleljustiz durch Sondergerichte installiert werden, die internationale Konzerne privilegiert und damit europäischen Rechtsvorstellungen zuwiderläuft.

Mehrere EU-Regierungen verlangten deshalb, dass derart gravierende Veränderungen nur mit Zustimmung ihrer Parlamente möglich seien. Also prüften die Volksvertreter, und dabei kamen zwei von drei belgischen Regionalparlamenten zu dem Schluss, dass Ceta gar nicht so vorteilhaft ist, wie die "Experten" behaupten. Deshalb verweigern sie die Zustimmung - kann man sie deswegen rügen? Oder muss man nicht ihren Mut loben, wo doch so viele Politiker in anderen EU-Staaten ihre Bedenken zurückstellten, nur aus Angst davor, die Europäische Union - und damit sie selbst - könnte sich als handlungsunfähig blamieren.

Scheitert Ceta an den Belgiern, wird Europa dennoch nicht vom Welthandel abgeschnitten. Aber Parlamentarier haben demonstriert, dass ihnen demokratische Verantwortung wichtiger ist als "Sachzwänge" von Technokraten und Lobbyisten.