Ingolstadt
"Unbedingter Vernichtungswille"

28-jähriger Brasilianer soll für Ermordung der Rentnerin im Südwesten lebenslang in Haft

30.10.2020 | Stand 23.09.2023, 15:08 Uhr
  −Foto: Eberl, Richter

Ingolstadt - Der Schuldspruch lautet auf Mord, das Urteil auf Lebenslänglich: Im Indizienprozess vor dem Ingolstädter Landgericht um den gewaltsamen Tod einer 80-jährigen Frau aus dem Ingolstädter Südwestviertel im vergangenen November (DK berichtete mehrfach) hat die 1.Strafkammer am Freitagmorgen die bei Beobachtern erwartete Entscheidung gefällt.

Der angeklagte 28-jährige Brasilianer aus dem Landkreis Eichstätt soll wegen Mordes für mindestens 15 Jahre hinter Gitter. Eine besondere Schwere der Schuld, wie sie die Staatsanwaltschaft gesehen hat, wurde vom Schwurgericht allerdings nicht festgestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der junge Mann auf der Anklagebank nahm den Richterspruch äußerlich unbewegt zur Kenntnis und folgte auch der zweistündigen Urteilsbegründung durch den Vorsitzenden, Landgerichtsvizepräsident Konrad Kliegl, ohne eine sichtliche Regung, aber durchweg sehr aufmerksam. Seine Mutter, die den gesamten Prozess mit weiteren Verwandten auf den Zuschauerrängen verfolgt hatte, verließ den Verhandlungssaal allerdings nach geraumer Zeit unter Tränen.

Für die Strafkammer steht fest, dass nur der Angeklagte die Tat begangen haben kann. Vorsitzender Kliegl: "Das Verbrechen ist aufgeklärt - er ist ein Mörder. " Die Tat selbst habe sich durch extreme Gewalteinwirkung auf das Opfer ausgezeichnet und von einem "unbedingten Vernichtungswillen" des Täters gezeugt.

Tatmotiv ist nach Erkenntnis des Gerichts ausschließlich die Absicht gewesen, nach einem bereits verübten Diebstahl oder Raub (von Schmuck und möglicherweise auch Bargeld) die Wiedererkennung und Benennung des Täters durch das Opfer zu verhindern. Es sei deshalb das Mordmerkmal der Tötung eines Menschen zwecks Verdeckung einer Straftat festzustellen. Andere Merkmale, die im Mordparagrafen 211 aufgeführt werden, seien hingegen nicht zu erkennen gewesen, auch wenn die Staatsanwaltschaft von Habgier ausgegangen sei und im Prozess auch die Frage nach einem Rachemotiv aufgekommen sei. Beides müsse aber verneint werden.

Der Angeklagte hatte bis zuletzt seine Unschuld beteuert und vielmehr die Geschichte eines gegen ihn gerichteten Komplotts einer vormals befreundeten brasilianischen Familie aufgebracht. Diese Bekannten hätten demnach ihre vormalige Vermieterin, die ihnen gekündigt hatte, aus Rache umgebracht und falsche Spuren in seine Richtung gelegt.

Die Strafkammer hält diese Angaben laut Richter Kliegl durch eine Vielzahl von Beweisen und Indizien, die in der Urteilsbegründung minuziös beleuchtet wurden, "in allen Punkten für widerlegt". Diese Geschichte des Angeklagten sei "konstruiert und unglaubwürdig", so der Vorsitzende. Eine Finger- und zwei DNA-Spuren am Tatort und am Wohnsitz des jungen Brasilianers ließen nur den Schluss zu, dass er der Täter sei und Schmuckschatullen aus dem Besitz der getöteten Frau an sich genommen habe. Zudem habe er im Gegensatz zu den von ihm bezichtigten Personen kein Alibi für die Tatzeit.

Für das Gericht ist demnach klar, dass der Angeklagte am Abend des 11. November vorigen Jahres in der Absicht am Haus des späteren Opfers geklingelt hat, die Frau, die ihm durch die Bekannten als wohlhabend geschildert worden war, zu berauben. Vorsitzender Kliegl: "Er hatte sie als weiches Ziel erkannt. " Eigentumsdelikte seien ihm nachweislich einer eindeutigen Vorstrafe nicht wesensfremd gewesen, er habe seinerzeit über keinerlei Mittel verfügt und aufgrund seiner Mentalität - die psychiatrische Gutachterin hatte ihm im Verfahren "parasitäre Züge" bescheinigt - auch keine Skrupel gehabt. Die Witwe habe ihm trotz ihrer ansonsten ausgeprägten Vorsicht geöffnet, weil sie noch eine Medikamentenlieferung ihrer Apotheke erwartet habe.

Ein Tötungsvorsatz, so die Kammer, sei bei dem 28-Jährigen zu Beginn seines Überfalls noch nicht vorhanden gewesen. Der habe sich erst im weiteren Verlauf des Geschehens ergeben, als er davon ausgehen musste, dass ihn die Rentnerin, die ihn wahrscheinlich wenige Tage zuvor als Umzugshelfer bei den gekündigten Mietern gesehen hatte, wiedererkannt hatte. Vorsitzender Kliegl: "Vielleicht hat sie ihm das verraten und damit ihr eigenes Todesurteil gesprochen. "

Die Fesselung und brutale Misshandlung der Frau ist nach Überzeugung der Strafkammer anschließend erst im Keller des Einfamilienhauses erfolgt, wo die Leiche erst einige Tage später entdeckt worden war. Die Frau hatte unzählige Schläge und Tritte einstecken müssen, die ihr schwerste Verletzungen zugefügt hatten, denen sie möglicherweise ohnehin erlegen wäre. Zusätzlich hatte der Täter sie aber massiv gewürgt und ihren Kopf dann noch mit Klebeband und einer Plastiktüte umschnürt, so dass sie letztlich erstickt war. Der Vorsitzende: "Sie durfte nicht überleben. "

Trotz dieser teils exzessiven Gewalteinwirkung auf die alte Frau weicht die Tat nach Auffassung des Gerichts aber nicht derart stark von der Mehrzahl bekannter Mordfälle ab, dass eine besondere Schwere der Schuld festgestellt werden müsse. Eine Prüfung der Haftentlassung wäre bei dem Brasilianer also - sollte das Urteil rechtskräftig werden - bei guter Führung nach 15 Jahren Mindestverbüßungszeit möglich. Allerdings könnten in diesem Fall auch ausländerrechtliche Bestimmungen greifen, die eine Abschiebung des Mannes in seine Heimat nach einer (längeren) Teilverbüßung denkbar erscheinen lassen.

Zu einem möglichen Revisionsantrag, der eine Prüfung des Urteils auf Rechtsfehler durch den Bundesgerichtshof zum Ziel hätte, wollte sich Verteidiger Stefan Roeder am Freitag noch nicht äußern. Für einen solchen Antrag ist bis zum nächsten Freitag Zeit.

DK

Bernd Heimerl