Überväter, Söhne, Enkel

Im Deutschen Theatermuseum München: "Regietheater. Eine deutsch-österreichische Geschichte"

27.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:10 Uhr
Barbara Reitter-Welter
Szenenfoto aus Schillers "Räubern" am Theater am Goetheplatz in Bremen aus dem Jahr 1966. Regie: Peter Zadek, Bühne: Wilfried Minks. −Foto: Pagenstecher, Akademie der Künste Berlin, Sammlung Gauker

München - Für viele Theatergänger ist der Begriff "Regietheater" noch immer negativ besetzt, laufen doch die Assoziationen schnell in Richtung "Selbstdarstellung eines Theater-Egomanen", der auf Werktreue pfeift und sich auf der Bühne rücksichtslos selbst verwirklicht.

Und immer fallen dann die Namen von drei Regisseuren der 68er-Jahre, den damals "Jungen Wilden" Peter Zadek, Peter Stein und Claus Peymann, die übrigens weitgehend an München vorbeigingen.

Dass das Regietheater beileibe nicht deren Erfindung war, sondern bereits vor gut 100 Jahren mit Leopold Jessners skandalträchtigem "Wilhelm Tell" ohne Alpenszenerie seine Entwicklung begann, versucht nun eine Ausstellung im Deutschen Theatermuseum zu vermitteln.

Im langen Gang des Entrées kommt kein Besucher an einer Wand mit Zeitungsausschnitten vorbei, die einmal mehr beweisen, dass auch viele Feuilletons dem Regietheater aversiv gegenüber stehen. Da fordert ein Blatt den "Kopf des Intendanten", wird die ganze Zunft als "ambulantes Gewerbe" diskreditiert oder heißt es "Wo endet die Provokation? "

So spannend das Thema, so spröde die Umsetzung, denn das Ergebnis wirkt wie ein Oberseminar in Theaterwissenschaft. Viel Text, eine brave Chronologie, in welcher acht Leuchttürme der deutsch-österreichischen Regisseurs-Elite mit bahnbrechenden Arbeiten vorgestellt werden. Doch die Radikalität ihrer innovativen, oft provokativen, erfrischend radikalen Inszenierungen vermittelt sich leider optisch kaum überzeugend. Zwar sind die zahllosen Bühnenbildentwürfe einzeln betrachtet teilweise künstlerisch autonom, spiegeln sie die jeweiligen Epochen mit naturalistischer Detailtreue, Illusionismus und Abstraktion, ja selbst Pop Art wieder. Kein Wunder, stammen sie doch von bekannten Entwerfern wie Emil Pirchan, Teo Otto, Caspar Neher, Wilfried Minks, Johannes Grützke oder Karl-Ernst Hermann. Doch aufgereiht wie Briefmarken, unterbrochen durch einzelne Fotografien und wenige, meisterlich gemachte Bühnenmodelle, vermisst man beim Betrachten jegliche Sinnlichkeit. Für den durchschnittlichen Theatergänger muss das Ergebnis enttäuschend sein, für Fachleute enthält das Projekt durchaus Überraschungen, was die Originalgrafiken betrifft. Da gibt der wunderbar gestaltete Katalog (Henschel-Verlag, 38 Euro) weit mehr Anregungen.

Claudia Plank, Leiterin des Museums, hat die Auswahl der Regie-Persönlichkeiten extrem eingeschränkt, um eine Hauptthese zu verdeutlichen: Hinter neuen, wagemutigen Schritten stand immer die Abgrenzung zu den Altvorderen, die Konfrontation mit den "Übervätern", also ein klarer Generationskonflikt. Was heißt: von Otto Brahm wandte sich sein Schüler Max Reinhardt ab, bei welchem Fritz Kortner und Gustav Gründgens ihre Karrieren begannen, beide übrigens zunächst als Schauspieler. Kortners zeitweiliger Regieassistent Peter Stein wiederum knüpfte an Reinhardt an und so fort.

DK


Deutsches Theatermuseum, Galeriestraße 4a, München, bis 11. April 2021, Di bis So, 10 bis 16 Uhr.

Barbara Reitter-Welter