Tennis
Überraschungen im Tennis: "Mentale Stärke spielt extrem wichtige Rolle"

Nach den US Open: Wolfgang Prummer verrät seine Gedanken über den Tennissport

16.09.2021 | Stand 13.11.2021, 3:34 Uhr
Heraus aus dem Schatten der bisherigen Stars: Im Spitzentennis scheint es aktuell einen Generationenwechsel zu geben. −Foto: J. Martin, dpa

Karlshuld/Steingriff - Daniil Medwedew und Emma Raducanu als Einzelsieger der US Open 2021: Wer darauf im Vorfeld gewettet hätte, wäre nun ein extrem reicher Mensch. Wolfgang Prummer, der Cheforganisator des Karlshulder Traditionsturniers "Donaumoos Open" tat's nicht - und so zählt der in Steingriff wohnhafte 60-Jährige nun "nur" zu der großen Anzahl an Tennisexperten, die die jüngsten Entwicklungen in ihrer Sportart staunend zur Kenntnis nehmen. Beziehungsweise mit einer gewissen Verwunderung darüber sprechen - so wie Prummer jetzt mit unserer Zeitung.

Herr Prummer, Hand aufs Herz: War Ihnen der Name "Emma Raducanu" schon vor den US Open 2021 irgendwie ein Begriff gewesen?
Wolfgang Prummer: Definitiv nicht. Sie war zwar schon vor wenigen Wochen in Wimbledon dank einer Wildcard bis ins Achtelfinale vorgestoßen - aber woher Raducanu genau stammt, wie sie zum Tennis kam, und so weiter, und so weiter, all das habe ich in der Tat erst nach ihren Glanztaten in New York so richtig erfahren. Ebenso erging es mir übrigens bei der kanadischen Finalistin Leylah Fernandez sowie dem erst 18-jährigen spanischen Überraschungsmann Carlos Alcaraz: Ich hatte zuvor absolut noch nichts von ihnen gehört - und umso begeisterter sah ich ihnen nun beim Spielen zu.

Als erst 18-jährige Qualifikantin zum US-Open-Titel - wie ist so etwas möglich?
Prummer: Solche Phänomene gibt es im Laufe der Zeit immer wieder, man denke nur an Boris Becker im Jahr 1987 zurück. Solche Ausnahmetalente haben halt schon im jungen Alter den Kopf dafür, sich von ihrem Weg zum ganz großen Triumph nicht mehr abbringen zu lassen. Sie packen die Gelegenheit einfach beim Schopf. Ja, die mentale Stärke spielt in unserem Sport eine extrem wichtige Rolle. Wer sie nicht besitzt, kann noch so gut Tennis spielen - und wird trotzdem über kurz oder lang scheitern. Man braucht ja nur auf die Grand-Slam-Juniorenkonkurrenzen in den vergangenen Jahren zu schauen: Wer von deren Siegern hat es daraufhin auch bei den Erwachsenen zu etwas Großem gebracht?

Gerade aus deutscher Sicht sieht es ja seit den glorreichen Zeiten eines Becker oder einer Steffi Graf richtig mau aus an absoluten Siegertypen...
Prummer: Leider. Und es ist sehr schwierig zu erklären, weshalb das so ist. Aber dieses Phänomen haben wir nicht allein. Denken Sie auch an die Schweden oder Tschechen, die gleich jahrzehntelang absolute Ausnahmekönner wie am Fließband herausbrachten - wie etwa einen Björn Borg, einen Mats Wilander, einen Stefan Edberg, einen Ivan Lendl oder einen Miloslav Mecir, um nur einige zu nennen. Und jetzt geht's diesen Nationen ähnlich schlecht wie uns. Vielleicht sind die Strukturen in Deutschland sowie in diesen Ländern mittlerweile zu veraltet, eventuell ist die Nachwuchsförderung tatsächlich nicht mehr zeitgemäß. Aber dieses Problem haben wir nicht exklusiv im Tennis. Man blicke beispielsweise auch aufs Fechten, bei dem die Bundesrepublik lange Jahre führend auf der Welt war. Und jetzt blieben wir da bei den Olympischen Spielen komplett medaillenlos. Von den Schwierigkeiten im Fußball, wo uns Deutschen bei der Jugendausbildung andere Nationen wie Frankreich oder England schon längst den Rang abgelaufen haben, möchte ich lieber erst gar nicht anfangen.

Nachdem wir vorhin schon bei Raducanu waren: Wie sehen Sie den momentanen Stellenwert des deutschen Damentennis'?
Prummer: Man braucht doch nur die höherklassigen Vereine bei uns anzusehen. Von denen werden auf den vorderen Positionen fast ausschließlich nur Ausländerinnen gemeldet, auf Einheimische setzt kaum jemand. Wie also sollen sich deutsche Talente dann mit den wirklich Guten messen können? Weshalb die Klubs lieber auf den schnellen Erfolg setzen und damit die Ausbildung des eigenen Nachwuchses vernachlässigen? Ich verstehe es nicht so recht. Aber da sind wir auch sehr schnell wieder beim deutschen Fußball: Dort werden ja ebenfalls lieber fertige Stars verpflichtet, bevor verstärkt auf die eigene Jugend gesetzt wird.Keine Frage, ich finde das extrem schade.

Nochmals zurück zum Damentennis an sich: Sie verzichten bei Ihren Donaumoos Open ja auch auf eine Frauenkonkurrenz, bieten stattdessen nur Herrenwettbewerbe an...
Prummer: Das stimmt.Des hat jedoch den ganz einfachen Grund, dass Damentennisturniere in Sachen Organisation deutlich schwieriger zu stemmen sind als Männertennisturniere. Herren sind, ich drücke es mal so aus, deutlich unkomplizierter als Frauen.

Apropos Männer: Dort gab es mit Daniil Medwedew ja ebenfalls einen US-Open-Sieger 2021, mit dem nicht alle Experten gerechnet hatten...
Prummer: Aber ganz überraschend kam sein Triumph nun auch nicht. Zugegeben: Dass er Novak Djokovic im Finale glatt in drei Sätzen schlug, passierte schon unerwartet. Aber grundsätzlich war der Russe jetzt einfach mal für einen solch großen Turniersieg fällig.

Wodurch es Djokovic gleichzeitig verpasste, alle vier Grand-Slam-Turniere innerhalb eines Jahres zu gewinnen...
Prummer: Und das fand ich ausgesprochen schade - für ihn persönlich, aber auch für das Tennis an sich. Seit Rod Laver im Jahr 1969 hat ja niemand mehr das gerade erwähnte Kunststück geschafft, es wäre also höchste Zeit dafür geworden. Erst recht, wenn man sieht, wie viel Energie von Djokovic in dieses Vorhaben gesteckt worden war. Er stellte seine Ernährung um, trainierte härter denn je - um jetzt im allerletzten Finale zu scheitern.

Welche Auswirkungen haben die US Open 2021 mit ihren beiden Überraschungssiegern ganz allgemein auf das Tennis?
Prummer: Natürlich ist's zunächst mal schön, dass nicht wieder die üblichen Verdächtigen gewannen. Und wer weiß, vielleicht läutete dieses Turnier nun endgültig einen echten Generationenwechsel ein. Irgendwann müssen ja die Jungen nachkommen - müssen etwa bei den Herren ein Stefanos Tsitsipas, ein Alexander Zverev, ein Medwedew oder eben sogar ein Alcaraz aus dem Schatten von Roger Federer, Rafael Nadal und Djokovic treten.

Haben es diese "jungen Wilden" tatsächlich drauf?
Prummer: Auf jeden Fall. Voraussetzung ist allerdings, dass sie frei von Blessuren bleiben. Umso mehr tut mir aktuell Dominic Thiem leid, der ja 2020 die US Open gewonnen hatte. Ob er nach seiner Handgelenksverletzung, die ihn bereits seit einigen Monaten plagt, jemals wieder nach ganz vorne an die Spitze kommen wird? Leicht wird es für den Österreicher auf keinen Fall.

Wie sehen Sie die Zukunft des Tennissports in Deutschland?
Prummer: Leider nicht ganz so rosig. Die Jugend wird immer bequemer beziehungsweise zieht sich immer mehr zur digitalen Welt hingezogen. Die Zeiten der Straßenfußballer sowie der "hundertprozentigen" Tenniskinder sind wohl vorbei. Die Belastung in der Schule tut ihr Übriges - wobei ich in dieser Hinsicht schon sage: Das eine schließt das andere nicht aus. Tennissport zu betreiben, das ist doch eine gute Möglichkeit, um zumindest für wenige Stunden vom Lernstress abschalten zu können.

Müssen Sie befürchten, dass es irgendwann auch Ihre Donaumoos Open in Karlshuld nicht mehr geben könnte?
Prummer: Ganz klar nein. Wir sind keines dieser Turniere, die zu schnell nach oben wollen - und die schlichtweg zu groß für die vorhandenen Kapazitäten sind. Wir haben genügend Freiwillige im Verein, die den gesamten Aufwand stemmen können - und die familiäre Atmosphäre, die bei uns herrscht, kommt bei den Teilnehmern aus ganz Bayern immer wieder sehr gut an.

Sie sind also weiterhin bis in die Haarspitzen motiviert, die Donaumoos Open auch in den nächsten Jahren auszutragen?
Prummer: Ja. Eigentlich sogar mehr denn je. Der Zuschauerzuspruch heuer war sensationell, alle Spieler zeigten sich von unseren Donaumoos Open wieder begeistert. So macht das natürlich auch mir immens viel Spaß.

DK

Das Gespräch führte Roland Kaufmann