Überrascht ob der Rabiatheit

Landrat Roland Weigert zieht Zwischenbilanz, spricht über große Herausforderungen und ein dickes Programm

08.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:32 Uhr
Demonstration gegen Nationalpark Donau-Auen ; Landrat Roland Weigert wird ausgebuht −Foto: Janda, Stefan, Ingolstadt

Neuburg (DK) „Es war nicht geplant, aber gewollt.“ So ist Roland Weigert Landrat geworden.

„Das Amt ist zum Mann gekommen“, sagt er. 2008 siegte der damals 40-jährige Kandidat der Freien Wähler nach einem engagierten Wahlkampf über seinen Konkurrenten Josef Konrad von der CSU mit einem Topergebnis von 65,1 Prozent der Stimmen. Was ihm die Strategen von der Union nicht zugetraut hatten, war eingetroffen. Sechs Jahre später traten Roland Gaßner (CSU) und Werner Widuckel (SPD) gegen ihn an. Weigert behauptete sich schon im ersten Wahlgang mit 58,3 Prozent der Stimmen auf dem Landratsstuhl. Nun ist bereits Halbzeit der zweiten Runde. Wird es eine dritte geben? „2020 bin ich 52. Wer will da schon in Rente? Wenn ich gesund bin, nominiert werde und wenn die Wähler mich wollen, dann trete ich gerne wieder an“, sagt Weigert.

Doch bis dahin gibt es noch viel zu tun. „Den Standort zukunftsfähig halten“, betont er. Das heißt vor allem in Schulen, in Bildung investieren. Da wäre die Paul-Winter-Realschule. Zunächst wurde gar nicht an einen Neubau gedacht. Den beschloss der Kreistag nach zähem Ringen. Das sei keine einfache Geschichte gewesen, erinnert sich Weigert. „Da muss man jahrelang dranbleiben. Man muss für Projekte werben und überzeugen.“ Als Minderheitenlandrat – im Kreistag hat Weigert mit 20 Freien Wählern bei 60 Kreisräten keine starke Hausmacht – kann er seine Vorstellungen nicht einfach durchboxen. Dennoch, im Schuljahr 2019/20 soll die neue Schule am Kreuter Weg in Betrieb gehen. Heuer im vierten Quartal wird der Spatenstich erfolgen. Die Ausschreibungen für die Gewerke sind bereits raus. Sein Ziel ist, innerhalb des Budgets von rund 36 Millionen Euro zu bleiben.

„Da wurden dieKommunen alleingelassen.“

An der Fachober-, der Berufsoberschule und der Wirtschaftsschule wird der Anbau gerade in die Höhe gezogen. Kosten: 8,7 Millionen Euro. „In den vergangenen zehn Jahren haben wir in diese Schulen 21 Millionen Euro investiert“, bilanziert er. Am Gymnasium in Schrobenhausen soll im Sommer 2018 der erste Bauabschnitt der Erweiterung fertig sein. Dann beginnt die Sanierung im Bestand. An der Berufsschule in Neuburg wird ein Lehrlingswohnheim mit 120 Betten entstehen. Es soll 2019 fertiggestellt sein, wird etwa sieben Millionen Euro kosten und ist notwendig, um den Standort der Berufsschule zu sichern. Nicht zuletzt soll das Descartes-Gymnasium in Neuburg saniert werden. Dem wird eine Machbarkeitsstudie vorausgehen. Außerdem ist daran gedacht, eine Außenstelle des Landratsamtes auf dem Gelände der alten Landwirtschaftsschule in Schrobenhausen zu errichten. „Das sind schon jahrelange Überlegungen“, sagt Weigert.

Ein weiteres Großprojekt ist die Donaubrücke bei Bertoldsheim. Sie dürfte gut elf Millionen Euro kosten. Der Spatenstich ist für 2019 geplant. Der Landrat hätte die Brücke ja liebend gerne dem Freistaat geschenkt, einschließlich der Straßenbaulast, aber Ministerpräsident Horst Seehofer hat dankend abgewunken. Ein großes Programm also, das Weigert noch in dieser Amtsperiode absolvieren oder zumindest beginnen möchte.

Die größte Herausforderung in dieser Runde, sogar „seit Bestehen des Landkreises“, findet Weigert, war zweifellos die Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und ’16. „Keine Turnhallen sperren“, lautete die Vorgabe des Landkreischefs. Das ist weitgehend gelungen. Lediglich einmal musste die Halle des Descartes-Gymnasiums Asylbewerber aufnehmen. „Das war unter aller Kanone, was die Bundeskanzlerin da gemacht hat“, ärgert er sich noch heute. Der Kreis wurde nach einem Notfallplan von einem Tag auf den anderen mit einer großen Zahl von Asylsuchenden konfrontiert. Die Verwaltung musste die Menschen registrieren, ärztlich untersuchen lassen und unterbringen. „Wir haben das mit BRK, THW und Kräften des Hauses erfolgreich gemeistert“, resümiert Weigert. Hinzu kam ein Helferkreis, der sich ehrenamtlich einbrachte. „Da wurden die Kommunen allein gelassen. Ich verurteile die Politik der Bundeskanzlerin auf das Äußerste. Bei den Gebäuden IV und V der Lassigny-Kaserne musste ich mit Beschlagnahme drohen, um die Menschen dort unterbringen zu können. Ich musste ein Bundesgesetz vollziehen und der Bund wollte uns seine Gebäude nicht geben.“ Diese Widersprüchlichkeit hat den Landrat, der durchaus impulsiv werden kann, in Harnisch gebracht. „Dann mussten wir die Gebäude erst entmieten (dort hatten Musikgruppen ihre Proberäume und eine Künstlerin ihr Atelier, Anm. der Red.) und zahlen bis zu 100 000 Euro jährlich für den Unterhalt der Häuser, weil wir Kapazitäten für 200 bis 300 Personen vorhalten müssen, sollte ein weitere Flüchtlingswelle kommen.“ Die massive Zuwanderung hatte ein Mehr an Mitarbeitern in der Landkreisverwaltung zur Folge. „Faktisch bleiben wir auf den Personalkosten sitzen“, moniert Weigert, „da kann ich nur den Kopf schütteln.“ Angela Merkel, die auf diese Weise trefflich Bundespolitik machen könne, habe nicht nur den Kommunen eine Menge aufgebürdet, sie trage auch, wieder Landrat findet, die Verantwortung, dass rechte und nationalistische Gruppierungen im Windschatten der ungeordneten Massenflucht erstarkt seien.

Der Landrat macht kein Geheimnis daraus, wo er am 24. September bei der Bundestagswahl sein Kreuzchen machen wird. „Ich werde die Merkel nicht wählen. Wir haben ein wertgeschätztes Mitglied des Kreistages, das sich zur Wahl stellt. Ich werde Werner Widuckel wählen. Wem ich die Zweitstimme gebe, das überlege ich mir noch.“ Dass er den SPD-Mann ankreuzen wird, kommt nicht von ungefähr. Der präsentiert sich im Kreistag als Sachpolitiker mit analytischem Verstand. Obendrein, sollte es Widuckel nach Berlin schaffen, verspricht sich der Landrat positive Effekte für den Landkreis.

Die Flüchtlingskrise war indes nicht nur für den Politiker und Chef der Landkreisverwaltung eine Herausforderung. Auch menschlich sei es eine schwierige Zeit gewesen. „Ich habe Sachen gesehen, die ich nicht für möglich gehalten hätte.“ Weigert, der einmal einen Flüchtlingstransport begleitet hat, spricht von Hass und Abneigung, die den Asylsuchenden gegenüber zu spüren gewesen seien. „Das waren Schlüsselerlebnisse.“

Ein Schlüsselerlebnis mit anderer Färbung kam dann heuer im Frühsommer. Vor dem Landratsamt hatten sich Demonstranten mit Transparenten eingefunden, die gegen einen geplanten dritten Nationalpark wetterten. Der Hausherr, der einem ergebnisoffenen Prozess das Wort redet und Meinungen und Stimmungsbilder sammelt, einem Nationalpark zur jetzigen Stunde aber nicht ablehnend gegenüber steht, stellte sich der Menge am Platz der Deutschen Einheit. Wortführer Engelbert Winter erteilte ihm daraufhin Redeverbot. Ein einmaliger Vorgang. „Ich habe das mit Humor genommen, weil ich nur ein paar Takte sagen und dann die Leute einladen wollte, etwas zu trinken“, erinnert er sich. Er sei dann aber doch „etwas entsetzt gewesen ob der Rabiatheit“.

„Das war unter allerKanone, was dieBundeskanzlerin da gemacht hat.“

Aus dem Takt gebracht hat ihn das aber nicht. Das Umweltministerium wurde mit einem Fragenkatalog zum Nationalpark eingedeckt. Zwei Fahrten in den Bayerischen Wald und nach Berchtesgaden sollten Informationen und persönliche Eindrücke bringen. Eine dritte Exkursion nach Wien steht noch aus. „Die Aufgabe der Landkreisführung ist, erst zu entscheiden, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen. Denkverbote helfen ebenso wenig wie zügellose Begeisterung. Ein maßgeschneidertes Konzept kann eine Chance bieten. Das sollte unser Ziel sein.“ Nun gibt es CSU-Mandatsträger, die Weigert bereits den Titel „Vater des Dritten Nationalparks“ verliehen haben. „Hätte ich einen so hohen landespolitischen Einfluss, dann würde ich die Vorzeichen der Gesundheitspolitik, der Finanzierung der Kommunen und anderes mehr gänzlich anders setzen“, kontert er.

Apropos Gesundheit: Beim Betrieb des Schrobenhausener Krankenhauses macht der Gesetzgeber dem Landkreischef das Leben nicht leichter. Das Schiff muss in ruhige Gewässer. „Unsere Zielrichtung ist die Sicherstellung der Versorgungseinrichtung – in welcher Form, werden wir sehen. Unser derzeitiger Ansatz ist, das Haus weiter zu entwickeln und mit einem qualifizierten Konzept in die Zukunft zu führen. Wir stehen zum Krankenhaus und zur Geriatrie. Die Luft für kommunale Krankenhäuser wird immer dünner“, sagt Weigert. Dieses Projekt werde ihn auch in der nächsten Periode noch beschäftigen. Nicht zuletzt deshalb steht für ihn im kommenden Jahr eine Bezirkstags-Kandidatur bei den Freien Wählern im Raum. Dort sei der Hebel, um Netzwerke aufbauen, mit denen man die Strukturen im Landkreis sichern könne. Ein Zusammenschluss mit den Kliniken St. Elisabeth, die der Landrat angestrebt hat, ist durch eine andere Orientierung des Ordens gescheitert. Das Bezirkstagsmandat würde der Landrat neben seinem Hauptjob wahrnehmen.

Ebenfalls mit Blick auf die Gesundheit der Landkreisbewohner nimmt der Kreis Geld für den Notarztverein in die Hand. 50 Cent pro Einwohner sind es jährlich, um im Ernstfall rasch helfen zu können. Es ist eine freiwillige Leistung des Kreises.