Berlin
Übermächtige Konkurrenz

Kinder lesen noch immer gerne Doch digitale Medien sind nicht mehr wegzudenken

08.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:40 Uhr

Berlin (DK) Lange Zeit hielt sich das Schlagwort vom Suchtfaktor Handy. Überall sah man Kinder, die das Smartphone nicht aus der Hand legen wollen oder stundenlang auf dem Tablet-PC oder mit der Konsole spielen. Und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung hatte erst kürzlich lautstark Alarm geschlagen: Es falle vielen Kindern und Jugendlichen schwer, den digitalen Reizen zu widerstehen.

Es wurde bereits an mögliche Präventionsangebote gedacht.

Doch nun könnte sich dieser Eindruck leicht wandeln. Denn eine neue Kinder-Medien-Studie im Auftrag von sechs Verlagen gibt zumindest zum Teil Entwarnung: Bei aller Lust am digitalen Spiel greifen Kinder noch immer gern zum Buch. 72 Prozent lesen Gedrucktes auf Papier, Zeitschriften, Comics oder eben klassische Bücher - und das trotz Smartphone. Wer gedacht hatte, Bücherwürmer und Leseratten seien akut vom Aussterben bedroht, Helden wie Pippi Langstrumpf und Tom Sawyer seien abgemeldet und hätten gegenüber Super Mario und Pokemon Go das Nachsehen, sieht sich jetzt getäuscht.

Glaubt man den Ergebnissen der Studie unter dem Titel "Young Digital Natives - wie digital sind sie wirklich", die gestern in Berlin vorgestellt wurde, zieht der Nachwuchs die gute alte Lektüre von Büchern und Zeitschriften sogar YouTube-Filmen und vielfach auch den Spielen auf Konsolen vor. Der lange befürchtete digitale Wahnsinn in deutschen Kinderzimmern hält sich offenbar in Grenzen. Gerade bei den Jüngeren stehen Micky Maus und Winnie Puuh auf Papier gedruckt noch immer höher im Kurs als das Surfen im Netz.

Für die neue Untersuchung wurden insgesamt 2000 Kinder im Alter zwischen 4 und 13 Jahren nach ihrem derzeitigen Medienkonsum gefragt. Dazu kamen noch einmal mehr als 300 Eltern. Und siehe da: drei von vier greifen noch im digitalen Zeitalter zum Gedruckten. Allerdings ändert sich das Verhalten, je älter der Nachwuchs wird. Schon die Zehn- bis Dreizehnjährigen schalten lieber Computerspiele an, lassen Buch und Zeitschrift eher liegen. Sportplatz statt Chatroom, Outdoor statt Stubenhocken lautet trotzdem der Trend, wenn man den Ergebnissen der neuen Studie Glaube schenkt.

Zur Überraschung der Experten liegen "mit Freunden zusammen sein" und "im Freien spielen" ganz oben, wenn es nach der bevorzugten Freizeitgestaltung geht. Das gelte für Jungen wie für Mädchen gleichermaßen. Der Kontakt zu Gleichaltrigen und zu Weggefährten scheint nicht aus der Mode zu kommen. Fast 90 Prozent der befragten Kinder machen dies "mehrmals pro Woche". Je älter die Befragten, desto häufiger kam jedoch auch die Antwort "ausruhen/nichts tun, chillen", wenn es nach der Lieblingsbeschäftigung geht.

Immerhin muss man dabei aber auch festhalten: 57 Prozent der Befragten geben an, mehrmals die Woche mit Tablet-PC, Handy, Gameboy oder Konsole zu spielen. Laut Auftraggeber der Studie seien Kinder zu Multitasking in der Lage, könnten parallel multimedial verschiedene Inhalte nutzen. So besitzen bereits 37 Prozent der Sechs- bis Neunjährigen ein eigenes Handy, oft sogar ein leistungsfähiges Smartphone. Bei den Zehn- bis Dreizehnjährigen sind es bereits 84 Prozent. Das soziale Netzwerk Facebook wird bei den Kindern und Jugendlichen hingegen nur noch von einer Minderheit von 29 Prozent genutzt. Die große Mehrheit kommuniziert heutzutage per SMS und vor allem über Whats App. Andere Studien in der Vergangenheit lieferten allerdings zumeist deutlich weniger positive Ergebnisse. Unklar bleibt auch, wie realistisch und wahrheitsgetreu die Antworten der Befragten wirklich waren - vor allem angesichts des teils jungen Alters der Befragten.

Nicht nur der Medienkonsum, auch das reale Konsumverhalten war Gegenstand der gestern veröffentlichten Verlagsstudie. Die mehr als 600 Euro pro Jahr an Taschengeld und Geldgeschenken, die heutige Zehn- bis Dreizehnjährige im Schnitt in Deutschland erhalten, geben sie überwiegend für Süßigkeiten, aber auch für Zeitschriften, Comics und Eiscreme aus, heißt es. Und schon von Kindesbeinen an gibt es hier offenbar ein Gefälle zwischen Jungen und Mädchen. Während Mädchen im Vorschulalter durchschnittlich nur 17 Euro Taschengeld pro Monat kassieren, sind es bei den Buben gut 20 Euro. Bei den Kindern im Alter von 4 bis 13 Jahren sind es bereits 41 und 44 Euro.

Für die Kinder-Medien-Studie 2017 wurden Doppelinterviews geführt mit jeweils einem Kind und einem Erziehungsberechtigten. Die Studie wurde in Auftrag gegeben von den Verlagen "Blue Ocean Entertainment AG", "Egmont Ehapa Media", "Gruner+Jahr", "Panini" sowie dem "Spiegel"- und dem "Zeit"-Verlag. ‹ŒKommentar Seite 2