Überdeckte Fortschritte

Von Christian Tamm

21.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:12 Uhr

Angela Merkel hat bei ihren Kritikern den Ruf weg, viele Probleme mit der Geduld eines Steins auszusitzen.

Doch nach mehr als zwölf Jahren im Amt, die von vielen Krisen gigantischer Tragweite geprägt waren, wirkt die Kanzlerin tatsächlich des Streitens müde. Ausgerechnet. Denn in den ersten 100 Tagen der neuen alten Koalition wurde bemerkenswert viel gestritten. Die aufwendig zusammensondierte Regierung gibt häufig ein schreckliches Bild ab - weniger im Ergebnis, dafür umso mehr im Stil.

Eigentlich war die Regierung mit dem Ziel angetreten, den Erfolg der Rechtspopulisten zu bremsen. Man habe aus den Fehlern gelernt, hieß es einst. Doch es scheint, als treibe die AfD die Bundesregierung wie ein verängstigtes Schaf vor sich her - allen voran die CSU. Trotz aller Dementis scheint klar, dass Parteichef Horst Seehofer um die Alleinherrschaft der Christsozialen in Bayern kämpft. Darum will er die Positionen der AfD abräumen - so macht Merkel schließlich recht erfolgreich der SPD das Leben schwer. Und da nutzt Seehofer sein neues Amt als Bundes-Sheriff, um einen Asylstreit mit der CDU vom Zaun zu brechen, der Deutschland an den Rand einer Regierungskrise gebracht hat. Dass die Kanzlerin durch das Hickhack blamiert ist, wird Seehofer nicht weiter stören.

Der CSU hilft das Theater aber wohl am wenigsten und die AfD hat es geschafft, das Thema Asyl und Flüchtlinge derart ins Zentrum zu rücken, dass die Arbeit der Regierung nur um diesen Punkt zu kreisen scheint. Gesundheitsminister Jens Spahn fühlte sich etwa berufen, nach seiner Ernennung Thesen zur Inneren Sicherheit aufzustellen und erst danach zur Pflege. Und Seehofer - eben auch Bauminister - ist vor lauter Grenzschutz noch nicht dazu gekommen, die wuchernden Mieten einzudämmen, von denen es noch vor Kurzem hieß, sie könnten gar den sozialen Frieden im Land gefährden.

Das alles ist traurig, denn es lässt allzu leicht vergessen, dass die Groko auch schon den einen oder anderen Erfolg vorzuweisen und durchaus gute Seiten hat. Arbeitsminister Hubertus Heil kniet sich in die Rente, während Heiko Maas die Republik auf dem internationalen Parkett jung und dynamisch aussehen lässt. Gerd Müllers aufrichtiger und leider einsamer Einsatz in der Entwicklungspolitik ist herzzerreißend. Und die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassenbeiträge hilft Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Es war eben nicht alles schlecht in den ersten 100 Tagen - das ist es bekanntlich nie. Doch steht zu befürchten, dass noch der eine oder andere Regierungsknatsch aufgrund der Asylpolitik droht. Dabei hat Europa lange auf die Koalition in Berlin warten müssen und braucht ein verlässliches Deutschland mehr denn je.