Salzburg
Über alle Grenzen hinweg

Denkwürdiger Auftritt: Das West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim bei den Salzburger Festspielen

20.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:37 Uhr

Salzburg (DK) Zu den besonderen Höhepunkten des Sommerfestivals an der Salzach zählen seit der Gründung der Festspiele durch Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal im Jahre 1920 zweifellos die Orchesterkonzerte. Ob die Wiener Philharmoniker mit ihrem berühmten samtweichen Klang oder das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks oder das vom Publikum enthusiastisch gefeierte "musicAeterna"-Ensemble aus Perm unter der befeuernden Leitung von Teodor Currentzis: Musikalische Schmankerl sind diese Konzerte allemal.

Doch zu einem der absoluten Höhepunkte im diesjährigen Orchesterreigen geriet das von Daniel Barenboim und seinem - inzwischen verstorbenen - palästinensischen Freund Edward Said 1999 gegründete West-Eastern Divan Orchestra mit jungen Musikern aus Israel und den palästinensischen Gebieten sowie aus Syrien, Jordanien, dem Libanon und anderen arabischen Staaten. "Musik für den Frieden" lautet das Motto dieses über alle Grenzen hinweg von den Ideen des Humanismus und der Toleranz geprägten Orchesters. In den großen Konzertsälen der Welt, vor allem in den Herkunftsländern der Orchestermitglieder, geben diese Musiker Konzerte, um mit der Macht der Musik zur Völkerverständigung beizutragen.

Das Publikum in Salzburg bejubelte nicht nur das von Vitalität und Enthusiasmus beseelte, hauptsächlich aus Musikstudententen bestehende Orchester, sondern auch die Idee, durch Musik zum Frieden nicht nur, aber vor allem im Nahen Osten beizutragen.

Kann es für ein Orchester, das nach Goethes lyrischer Sammlung des "Westöstlichen Divan" benannt ist, Programmatischeres geben als Peter Tschaikowskys 5. Symphonie in e-Moll? Eine Komposition, die trotz aller Schwermut prall gefüllt ist mit Leidenschaft und der Liebe zum Leben. Großartig, wie die jungen Musiker Barenboims Interpretation des jähen Wechsels zwischen den zarten, lyrischen Stellen, der zerbrechlichen Wehmut und den wilden Temperamentsausbrüchen folgten und diese 1888 in Moskau unter der Leitung des Komponisten uraufgeführte "Schicksalssymphonie" voll musikalischer Begeisterung zu Gehör brachten.

Hinreißend, wie leidenschaftlich im 1. (Andante-)Satz nach den düsteren Klarinettenklängen als Leitmotiv die Bläser mit den Streichern abwechselnd um grelle Dynamik und Beruhigung all der Klangmassen stets konkurrierten. Dieses Wechselbad geriet ebenso famos wie der zur Melancholie geronnene schwärmerische Klang im 2. Satz, der nach dramatischer Steigerung schließlich in herrlich elegischer Weltentrücktheit endet. Und wie wunderschön gelang Barenboim und seinem hingebungsvoll spielenden Orchester der Kontrast zwischen dem geradezu graziös gehauchten walzerseligen 3. Satz und der kongenial eingefangenen Atmosphäre eines temperamentvollen russischen Volksfestes als fulminantes Finale, bei dem das Schicksalsthema schließlich in einen triumphalen Sieg der Hoffnung mündet.

Zu diesem farbenreichen musikalischen Stimmungsbild voller Gegensätze waren Richard Strauss' "Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters" op.35 nach der Don-Quixote-Vorlage des Dichters Miguel de Cervantes (1547-1616) eine passende Ergänzung. Denn Barenboim lotete die so unterschiedliche Tonmalerei bestens aus: Don Quixotes grotesker Kampf mit den rotierenden Windmühlenflügeln, dessen Ritt durch die Luft oder die Liebesschwüre des "Ritters von der traurigen Gestalt" an seine Dulcinea strömten ebenso bildhaft über die Rampe wie die herrlich ironisch gefärbten Episoden von Don Quixotes bäuerlich-schelmischen Knappen Sancho Pansa.

Und die Musiker setzten all die so unterschiedlich gestalteten Variationen mit jugendlichem Enthusiasmus um. Eine Komposition im Wechsel von Poesie und Bodenständigkeit, von Barenboim ebenso temperamentvoll wie einfühlsam dirigiert und vom West-Eastern Divan Orchestra mit Verve gespielt. Jubel über Jubel im Salzburger Großen Festspielhaus für dieses denkwürdige Konzert.