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"Trump macht mir Angst"

Nach 25 Jahren veröffentlicht Pink-Floyd-Bassist Roger Waters heute sein neues Album: "Is This The Life We Really Want"

01.06.2017 | Stand 02.12.2020, 18:01 Uhr

New York (DK) Wie wird er wohl drauf sein? Vor Roger Waters, 73, wird bisweilen gewarnt, ein griesgrämiger Grantler sei das, schnell auf ungute Weise zu erregen. Waters, gebürtiger Brite, lebt seit vielen Jahren in New York. Also begeben wir uns an einem strömend verregneten Donnerstag in die "Headroom Studios" mitten in Manhattan. Dort, wo der einstige Pink-Floyd-Sänger und -Bassist, der federführend war bei "The Wall" und der im Dauerzoff mit Mastermind-Rivale David Gilmour 1985 der Band den Rücken kehrte, die Weltpresse jetzt zu Gesprächen eingeladen hat. Über "Is This The Life We Really Want", sein erstes Rockalbum seit "Amused To Death" vor 25 Jahren. Als Waters - sehr schlank, bequeme Jeans und Poloshirt - den Raum betritt, fängt es sogleich an zu knistern. Aber nicht vor Spannung, sondern weil das Hörgerät der Rocklegende nicht so will wie er selbst. "Nach 50 Jahren Rock'n'Roll muss ich diese Hörhilfe tragen", kommentiert Waters, während er am Ohr herumnestelt. "Ich kann keine hohen Töne mehr hören, niemand kann das in meinem Job. Ansonsten bereue ich keine Sekunde."

Mr. Waters, wann haben Sie beschlossen, ein weiteres Rock-Album aufzunehmen?

Roger Waters: Es begann, als ich vor einigen Jahren während der "The-Wall"-Tour den Song "Déjà Vu" schrieb. Wir nahmen gleich eine Demoversion mit meiner Band auf, und ich war der Ansicht, dass der Song richtig gut ist und auf ein Album gehört. So schrieben wir weitere Stücke, die ich dann zusammen in einer Art Hörspiel zusammenfasste.

 

Wie kam der Produzent des Albums, Nigel Godrich, an Bord?

Waters: Der Schauspieler Shaun Evans hat uns bekannt gemacht und Nigel dazu überredet, den Soundtrack für unseren gemeinsamen Film zu "The Wall" aufzunehmen. So fingen wir an zu reden, Nigel guckte sich meine Hörspiel-Demos an und reagierte recht trocken. Er sagte so was wie "Ich mag diese drei Akkorde, und dort ist die Melodie nicht schlecht, diese eine Stelle finde ich auch gut". Und zum Rest verzog er das Gesicht. Ich merkte, ich kann entweder sagen "Dann verpiss dich", oder ich reagiere wie ein Erwachsener und fragte ihn, was er denn stattdessen vorschlagen würde.

 

Wie ging es Ihnen privat zu der Zeit?

Waters: Oje. Ich war in einer dieser On/Off-Beziehungen. Meine Herren. Das war eine sehr leidenschaftliche Liebesaffäre, was bisweilen sehr schmerzhaft und heftig für mich war. Das ging also parallel vor sich und wahrscheinlich war das für die Platte sogar ein Vorteil, weil es mich verletzlicher gemacht hat.

 

Was nehmen Sie aus der Beziehung mit der palästinensischen Schriftstellerin und Journalistin Rula Jebreal mit?

Waters: Dass Leidenschaft geil ist. Und dass Leidenschaft ein knappes Gut ist im Leben. Wenn du die Chance hast, Leidenschaft zu erfahren, in welcher Form auch immer, dann nimm diese Chance wahr. Gesellt sich dann der Schmerz zur Freude hinzu, dann tut er das eben. Denn die Leidenschaft ist jeden Tiefschlag wert.

 

Sie waren bislang viermal verheiratet und sind viermal geschieden. Leidenschaft scheint kein knappes Gut im Leben des Roger Waters zu sein.

Waters (grinst): Nun ja, eher nicht, nein.

 

Wer ist denn das besungene schönste Mädchen der Welt in "The Most Beautiful Girl"?

Waters: Das ist ganz konkret und sehr traurig ein kleines Mädchen, das bei einem US-Raketenangriff auf sein Dorf im Süden des Jemen getötet worden ist, und zwar noch während der Amtszeit von Obama. Das war eine der Attacken, die das Thema des von Jeremy Scahill produzierten Dokumentarfilms "Dirty Wars" sind. Dieses unglaublich hübsche Mädchen war eines der vielen, vielen zivilen, unschuldigen Opfer.

 

Ihr Vater ist im Zweiten Weltkrieg gefallen, Ihr Opa im Ersten Weltkrieg, Sie sind Pazifist und Anti-Kriegsaktivist, praktisch seitdem Sie Musik machen.

Waters: Ja, das stimmt. Leider gewöhnt sich die Menschheit einfach nicht ab, Kriege ohne ersichtlichen Grund zu führen. Obwohl, das ist falsch. Es gibt sehr wohl einen Grund.

 

Welchen?

Waters: Geldmacherei. In militärischen Auseinandersetzungen lässt sich so viel Geld verdienen, dass es für viele Staaten ein ökonomisches Desaster wäre, darauf zu verzichten. Krieg ist einfach ein zu gutes Geschäft. Weißhäutige Menschen verdienen ein abartiges Geld damit, braunhäutige Menschen in aller Welt zu töten.

 

Dabei gäbe es viel sinnvollere Projekte, die den Menschen wirklich etwas bringen würden. Im Silicon Valley wird daran getüftelt, den Tod als solchen zu eliminieren und das ewige Leben zu ermöglichen. Wären Sie gern unsterblich?

Waters: Ich glaube nicht. Nein. Obwohl, ich muss noch überlegen, ich will mich nicht festlegen. Es hängt viel davon ab, in welchem Zustand du unsterblich gemacht wirst. Nur: Was haben wir davon? Wir werden den Planeten in ungefähr 30 Jahren zerstört haben, also, das ist müßig.

 

Sie schöpfen aus einer extremen Mischung von Inspirationsquellen für dieses Album. Auf der einen Seite stehen Liebe und Leidenschaft. Auf der anderen jemand wie Donald Trump, den Sie verachten und in den Songtexten nur "Nincompoop" (frei und wohlwollend übersetzt "Der geistig nicht Gesunde") nennen.

Waters: Ja, denn das ist das Leben. Es ist eben nicht das Leben, das wir wirklich wollen. Sondern das Leben, wie es sich uns präsentiert.

 

Was regt Sie an Trump besonders auf?

Waters: Wo soll ich anfangen? Vielleicht bei diesem Bullshit zu glauben, die weiße Rasse sei anderen Rassen überlegen. Trump steht exemplarisch für diesen wahnhaften Unsinn. Es ist widerlich und macht mir durchaus Angst. Aber das Gute ist: Die Rassisten und Menschenfeinde sind in der Unterzahl. Wir sind mehr. Aber diese Welt, in der wir leben, sie ist bizarr wie lange nicht.

 

Wie stark hat Trumps Aufstieg das Album beeinflusst?

Waters: Gar nicht. Er hat im Grunde nichts mit den Songs zu tun. Und er braucht mich auch nicht, um von mir entzaubert zu werden. Das kriegt er auch ganz alleine hin. Ganz am Ende haben wir allerdings noch ein, zwei Zitate von ihm eingebaut. Ich werde in der Liveshow stärker auf ihn eingehen. Etwa auf seine Aussage "Chaos, welches Chaos? Wir sind eine gut geölte Maschine". Und wie er immer sagt "Ich habe gewonnen, ich habe gewonnen", als wenn es nur darum ginge. Im Rest der Welt werden die Vereinigten Staaten längst bemitleidet und bedauert.

 

"The Wall" drehte sich um Widerstand und Revolution, das neue Album dreht sich um Widerstand und Revolution. Ist dies das Thema Ihres Lebens?

Waters: Vielleicht, ja. Ist es nicht das Thema des Lebens von uns allen? Entweder du widersetzt dich oder du endest in einem autoritären, dystopischen Gebilde von einem Staat. Du kannst entweder "Schöne Neue Welt" lesen und dich erschrecken, oder du denkst dir "Ich habe dieses neue iPhone, das reicht mir".

 

Haben Sie es je bereut, vor mehr als 30 Jahren Pink Floyd verlassen zu haben?

Waters: Nein, warum sollte ich? Das Geld? Du wirst nicht glücklicher, wenn du noch mehr davon hast. Die vermeintliche Sicherheit und Verlässlichkeit eines Markennamens können auch eine Falle sein. Ich sage nicht, dass Langlebigkeit im Rock 'n' Roll generell eine schlechte Sache ist. Viele Bands lieben sich und machen immer weiter. Aber es ist zu verlockend, zu bequem.

 

Werden Sie auf der "Us + Them"-Tournee, mit der Sie 2018 nach Europa kommen wollen, auch Pink-Floyd-Songs spielen?

Waters: Einen ganzen Haufen sogar. Weil ich sie immer noch gern mag, und weil sie zum neuen Material passen. "Us + Them" oder "The Dark Side Of The Moon" - zeitgemäßer geht es ja gar nicht. Die Botschaft des ganzen Konzerts ist zugleich meine Botschaft: Wir müssen uns darüber klarwerden, dass wir hier unten zusammengehören. Sonst geht die ganze Scheiße hoch.

 

Das Gespräch führte Steffen Rüth.

 

 

ZUR PERSON

Geboren wurde Roger Waters 1943 in Great Bookham, im Südwesten von London. Zu seinen musikalischen Einflüssen zählen der amerikanische Blues und die Folkmusik sowie Musiker wie John Lennon und Bob Dylan. 1965 gründete er mit Studentenfreunden die Rockband Pink Floyd, mit der er große Erfolge feierte, bis er sie Mitte der 80er-Jahre im Streit verließ. Er veröffentlichte mehrere Alben als Solokünstler, reichte aber nie an den kommerziellen Erfolg von Pink Floyd heran.