Triviale Traumgespinste

25.05.2009 | Stand 03.12.2020, 4:56 Uhr

Ist Liebe eine Möglichkeit? Juliane Köhler und Felix Rech in Thomas Jonigks Stück "Diesseits", das Tina Lanik im Münchner Cuvilliéstheater in Szene setzte. - Foto: Dashuber

München (DK) Reichlich linkisch und über ihre Frauenpower selbst erschrocken hantiert Paula mit ihrer Pistole. Beruhigungspillen will sie in einer Apotheke mit der Waffe erpressen. Pech nur, dass sie sich in der Tür geirrt hat: Sie stürmte eine Bank, dessen Chef seltsamerweise auch noch ein Bestattungsinstitut leitet.

Eigentlich eine steile Vorlage für jeden Autor von Psychodramen. Doch Thomas Jonigk konnte sich mit diesem – im vergangenen Jahr in Düsseldorf uraufgeführten – Stück zwischen Seelenanalyse und Satire leider nicht entscheiden. Er siedelte diese Story daher irgendwo zwischen Tragödie und Komödie, zwischen modernem Kreuzweg und altväterlichem Klamauk an. In Träumen und Albträumen, in Rückblenden und Visionen werden Paulas Neurosen mit viel theatralischem Leerlauf vor dem wenig amüsanten Hintergrund aufgedröselt, dass Paulas Lebens- und Zukunftsangst auf einen diagnostizierten Gehirntumor fußt.

Als "Stationendrama" will die Regisseurin Tina Lanik ihre Inszenierung dieses kruden Stückes im Cuvilliéstheater verstanden wissen und suchte doch in erster Linie das Komödiantische in Jonigks trivialen Traumgespinsten: Da darf Paulas Vater (Janko Kahle) als stummer Gast auftreten, der Bettfedern auf die (von Magdalena Gut) mit Heizkörpern bestückte Bühne streut, und imaginäre Figuren tapsen als Bunny und Bär zwischen den Requisiten umher. Robert Joseph Bartl schiebt als schwuler Krankenpfleger Paulas kreuzfidele Mutter im Rollstuhl durchs Geschehen, während Beatrix Doderer von der toughen Schwester bis zur trauernden Witwe die unterschiedlichsten weiblichen Charaktere herrlich schräg darstellt und Felix Rech Paulas verstoßenen und zum Schluss doch ersehnten Liebhaber verkörpert: Wunsch und Wirklichkeit, Realität und Fiktion gehen hier nicht nur ständig ineinander über, sondern verschmelzen häufig zu surrealen Bildern, die bei aller Dürftigkeit des Textes durchaus betören und zu der Rokokopracht des Cuvilliéstheaters einen schönen Kontrast bilden.

Vor allem jedoch fasziniert Juliane Köhler, für die Thomas Jonigk dieses Stück geschrieben hat, in der Rolle der nach dem Sinn des irdischen Daseins suchenden Paula: ein äußerlich höchst zerbrechliches Wesen mit großer Willensstärke. Eine verhuschte Person als Exzentrikerin, ein Psychowrack, das seine Lebensangst in Lebensgier verwandelt. Absolut hinreißend gespielt. Der Applaus des Premierenpublikums fiel dementsprechend heftig aus.

Weitere Aufführungen am 28. Mai sowie am 4., 10., 16. und 18. Juni; Kartentelefon: (0 89) 21 85 19 40.