Ingolstadt
Triumph der georgischen Talente

28.06.2010 | Stand 03.12.2020, 3:54 Uhr

Schroffe Geigentöne: Lisa Batiashvili spielt Piazzolla, das Georgische Kammerorchester unter der Leitung von Ariel Zuckermann begleitet sie. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Höhepunkt reihte sich an Höhepunkt bei den Festkonzerten des Georgischen Kammerorchesters. Nach dem Ausflug in die Volksmusik mit dem Rustavi Ensemble und dem künstlerisch sehr gelungenen Gastspiel mit dem ehemaligen Chefdirigenten des Orchesters Markus Poschner, konzentrierte sich am letzten Abend des kleinen Zyklus‘ das Interesse auf georgische Solisten und Komponisten.

Und da hatte man Staunenerregendes zu bieten: Gleich zwei Uraufführungen von den besten zeitgenössischen Komponisten des Landes und außerdem Solisten wie die Weltklassegeigerin Lisa Batiashvili und den in Deutschland eher wenig bekannten Pianisten Alexander Korsantia.

Dessen Auftritt wurde zum Überraschungserfolg des Konzertabends. Der Georgier spielte das erste Klavierkonzert von Dmitri Schostakowitsch derart explosiv, dass man lange überlegen muss, wann einem zuletzt ein derart mitreißender Pianist begegnet ist. Und es bleibt rätselhaft, warum der Georgier in Europa immer noch so wenig bekannt ist.

Korsantia setzte bei seiner Interpretation ganz und gar auf die bissig parodistischen Züge des Werks. Und da arbeitete er mit dem genau richtigen Stilmittel: der Übertreibung. Die lyrischen Passagen klangen bei ihm fast schon kitschig weichgeschliffen, die billigen Gassenhauer-Themen donnerte er triumphierend in die schwarz-weißen Tasten, und in den konfliktreichen Passagen entfachte er ein hemmungsloses Feuerwerk.

Problematisch ist bei Tastenakrobaten dieses Kalibers allerdings, dass ihrer künstlerischen Raumverdrängung leicht alle anderen Künstler zum Opfer fallen. Den eigentlich hervorragenden Trompetensolisten Hannes Läubin schenkte man kaum mehr Beachtung, und selbst das Georgische Kammerorchester schien irgendwie gedämpft im Hintergrund zu agieren.

Ein ganz ähnlicher Eindruck beschlich einen beim Auftritt von Lisa Batiashvili, die zwei Konzerte aus dem Jahreszeiten-Zyklus von Astor Piazzolla spielte. Ihre Stradivari hat einen derart durchdringenden, den Saal erfüllenden Klang, dass man fast schon das Kabel für einen elektrischen Verstärker bei Batiashvilis Geige suchen wollte. Die Künstlerin zeigte sich dabei von ihrer schroffen Seite. Sie fetzte derart energisch über die Saiten, dass bald die abgerissenen Pferdehaare vom Bogen hingen. Selbst die warmen, dunkelgetönten Phrasen klangen nicht nur süffig, sondern laut und hintergründig aggressiv. Bei allem Temperament aber: Jeden Ton, jedes noch so unbedeutende An- oder Abschwellen, jede Vibrato-Bewegung gestaltete die Georgierin mit der Intensität, zu der wirklich nur die bedeutendsten Geiger in der Lage sind. Am Ende jubelte das Publikum, darunter auch die kleine Tochter der Künstlerin, die mit ihrem Mann François Leleux auf der Empore stand.

Eröffnet wurde das Festkonzert mit der Uraufführung von "Ninna-Nanna für Anna" für Flöte und Streicher von Giya Kancheli. Das Stück ist in jeder Hinsicht minimalistisch: Die glasigen Töne dringen so langsam aus den Instrumenten, dass sie zu erstarren drohen, die Klänge verharren minutenlang im Pianissimo, und der musikalische Fluss wird immer wieder zum Rinnsaal und droht zu versiegen. Aber damit ist Kanchelis Musik nur unzulänglich beschrieben. Denn der Georgier ist ein großer Andeutungskünstler: Er umspielt die Harmonien, erweckt Erwartungen, die er kaum erfüllt, spielt mit den Versatzstücken der klassischen Tradition ohne sie wirklich erklingen zu lassen. Wie ein Hitchcock der Musik erweckt er im Publikum Suspense, indem er sich unseren Erwartungshorizont zu Nutze macht.

Ganz so stringent wirkte die zweite Uraufführung des Abends nicht: Josef Bardanashvilis "Triporium nodetot" (Wandervögel"). In dem Streichorchesterstück werden ganz wenige Motiv-Partikel in immer wieder neuer Weise kombiniert, mal als Dialog solistischer Instrumente, dann als schroffe Tutti-Passagen, oder befremdende, surreale Klanglandschaft.

Ariel Zuckermann leitete all diese Werke mit großer Sicherheit. Beim Kancheli übernahm er auch noch die Flötenstimme und zeigte danach bei Olivier Truans "A bout de Souffle", dass er auch als Solist eine absolute Ausnahmeerscheinung ist.

Am Ende des dreieinhalbstündigen Abends konnten die Orchestermusiker noch einmal bei einem Repertoirestück ihren Leistungsstand zeigen. Tschaikowskys Streicherserenade in C-Dur ist ein hochvirtuoses Stück, das wie kaum ein anderes Werk Höchstleistung von einem Orchester verlangt. Die Georgier unter der Leitung von Ariel Zuckermann bewältigten diese Hürde mit schier traumwandlerischer Sicherheit. Eine gute halbe Stunde wurde der Festsaal in symphonischen Samt getaucht, in ein Warmbad der Emotionen. Dankbarer Beifall am Ende für ein außergewöhnliches Konzert.