Trendwende in der Klassik

15.06.2007 | Stand 03.12.2020, 6:41 Uhr

Musiker und Manager: Christian Kellersmann.

Berlin (DK) Die Phonoindustrie steckt in einer schweren Absatzkrise. Seit Jahren gehen immer weniger CDs über den Ladentisch. Jetzt scheint es allerdings so etwas wie eine Trendwende zumindest im Klassiksegment zu geben. Unser Redakteur Jesko Schulze-Reimpell sprach darüber mit Christian Kellersmann, bei Universal (mit dem Label Deutsche Grammophon) zuständig für Jazz und Klassik.

Herr Kellersmann, viel wird von einer Krise der klassischen Musik geredet. Dennoch steigen die Absatzzahlen für Klassik-CDs der Deutschen Grammophon wieder an.

Christian Kellersmann: Wir reden schon seit Längerem nicht mehr von einer Krise. Bei einer Bestandsaufnahme vor etwa fünf Jahren sah die Situation schon ziemlich kriselig aus. Aber wir haben ja seitdem einiges geändert. So gelang es uns, neue Stars zu etablieren. Der Mangel an Stars war auch der Grund, warum das Klassikgeschäft Anfang des Jahrtausends so schlecht lief. In den 90er Jahren etwa gab es weit und breit keinen neuen Star am Klassikhimmel. Und in den 80ern gab es gerade einmal zwei: Anne-Sophie Mutter und Nigel Kennedy.

Wenn Sie von Stars reden, fallen einem gleich zwei Künstler ein: Anna Netrebko und Lang Lang. Wie viel machen diese Musiker beim Absatz der Deutschen Grammophon aus?

Kellersmann: Eine ganz Menge. Mit Anna Netrebko haben wir im vergangenen Jahr etwa 400 000 CDs allein in Deutschland verkauft.

Wie sehr sind diese Stars Zugpferde auch für andere Künstler?

Kellersmann: Mit ihnen schaffen wir erstmals wieder eine neue Idee, ein neues Bewusstsein für Klassik in der Öffentlichkeit. Die Medien verstehen sich wieder als Klassik-Plattform, so wird bei vielen Menschen neues Interesse für diese großartige Musik geweckt. Das ist so wichtig, weil sich die Publikumsfrequenz in den CD-Läden erhöht; besonders dann, wenn diese Stars neue CDs herausbringen. Das ist genauso wie in der Popmusik: Wenn etwa Grönemeyer eine neue CD produziert, gehen die Leute häufiger in den Plattenladen und kaufen dann unter Umständen auch ganz andere CDs.

Beide Künstler, Netrebko und Lang Lang, werden vom Publikum verehrt, von der Kritik jedoch eher geschmäht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein sehr gutes Marketing Triumphe feiert, nicht jedoch sehr gute Musik.

Kellersmann: Anna Netrebko und Lang Lang werden kontrovers diskutiert, aber das ist doch eigentlich etwas Positives. Technisch und musikalisch sind beide absolute Ausnahmekünstler, das wird von keinem ernsthaften Kritiker bestritten.

Kann ein CD-Label eigentlich mit den Mitteln des Marketings Stars generieren?

Kellersmann: In der Klassik ist das ausgeschlossen. Hier ist die Basis einer großen Künstlerkarriere immer ausgezeichnetes musikalisches Können. An diesem Punkt unterscheidet sich die Klassik von manchen Popauswüchsen. Der Klassikmarkt ist hier erfreulich qualitätsbewusst. Marketing kann den kleinen Unterschied zwischen einer hoch gelobten und gut bezahlten Sopranistin oder einer hoch gelobten und sehr gut bezahlten Star-Sopranistin ausmachen.

Müssen klassische Künstler heute anders vermarktet werden als noch vor 20 Jahren?

Kellersmann: In den 90er Jahren war eigentlich überhaupt keine Form der Vermarktung üblich. Konzerttourneen und CD-Veröffentlichungen wurden damals nicht aufeinander abgestimmt. Typisch ist heute, dass man die Events besser koordiniert. Konzertveranstalter, Künstler, Agenten und Plattenproduzenten setzen sich vor einer Veröffentlichung zusammen und überlegen, wie man das Thema am besten aufbereitet. Genau das ist im Filmbereich, im Pop oder im Verlagswesen längst selbstverständlich. Günter Grass wird auch nicht drei Monate nach Veröffentlichung seines Buchs eine PR-Reise starten. Die Interviews gibt er vorher.

Es gibt also eine Trendwende?

Kellersmann: Ja. Das hängt auch damit zusammen, dass der Popmarkt nicht mehr die Bedeutung hat wie noch vor 20 oder 30 Jahren. Auch jüngere Menschen werden heute von klassischer Musik anders angesprochen, als das vor einigen Jahrzehnten noch der Fall war. Damals war Klassik eine bildungsbürgerliche Erscheinung. Das ist sie heute in der Form nicht mehr. Endlich kann man auch rein emotional an diese Musik herangehen.

Dennoch hat man das Gefühl, wenn man ein Klassik-Konzert besucht, dass das Publikum hoffnungslos überaltert ist. Wie gewinnen Sie denn jugendliches Publikum?

Kellersmann: Es ist sehr wichtig, an diesem Punkt anzusetzen. In Berlin, unserem Firmenstandort, können wir eine Trendwende beobachten. In der Philharmonie wird das Publikum deutlich jünger. Auch mit Künstlern wie Lang Lang gewinnt man dort ein neues, junges Publikum. Ich spüre einfach, etwa bei den Kindern meiner Freunde, dass die auf Lang Lang stehen, weil er etwas Frisches, Jugendliches ausstrahlt. Kinder und Jugendliche benötigen auch so etwas wie Identifikationsfiguren aus der Klassik.

Deswegen versuchen wir einen eigenen Beitrag zu leisten, indem wir mit unseren Klassikstars wie Hilary Hahn, dem Dirigenten Christian Thielemann oder Thomas Quasthoff zu den Kindern und Jugendlichen kommen. Das Projekt heißt "Der kleine Hörsaal". Wir stoßen hier bei unseren Spitzenkünstlern auf offene Ohren. Und bei den Kindern auf gewaltige Begeisterung.