Ingolstadt
Treffen zwischen 10 und 20 Prozent

Selbstbewusste Grüne, selbstkritische Genossen: Zwei bezeichnende Empfänge am Wochenende

20.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:41 Uhr
  −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Dass die Ergebnisse dieser beiden Parteien einmal derart weit auseinanderklaffen, stand nicht wirklich zu erwarten. Im Bayerntrend halten die Grünen jetzt hart auf die 20-Prozent-Marke zu, derweil die Sozialdemokraten unter 10 Prozent in einem finsteren Tal festsitzen. Diese ungewohnte Konstellation war wenig überraschend ein Thema bei zwei Veranstaltung am Wochenende: dem Alternativen Neujahrsempfang in Vronis Ratschhaus (das im weiteren Sinne mit der SPD zu tun hat) am Samstag und dem Neujahrsempfang der Ingolstädter Grünen am Sonntag.

Einer geht noch, einer passt noch rein. Gerade so. Jean-Pol Martin, meinungsfreudiger Allround-Engagierter, kommt zu spät in Vronis Ratschhaus. Er quetscht sich unters Volk, das sich munter zwischen den Bücherregalen drängt, und wird sofort von Gastgeberin Veronika Peters begrüßt. Im offiziellen Teil, denn sie zählt da gerade in ihrer kurzen Rede "die vielen Leute" auf, die dieses Haus "mit Leben erfüllen". Applaus. Alle amüsieren sich. Auch jene, die draußen stehen müssen, weil sie - vorübergehend - nicht ins Ratschhaus passen, denn vor der Tür wird Sekt ausgeschenkt.

2014, als Veronika Peters als OB-Kandidatin der SPD antrat, mutete der kleine, ehemalige Laden an der Donaustraße wie eine Art Wahlkampf-Zirbelstüberl an. Lange her. Das Ratschhaus ist heute ein überparteilicher Bürgertreff und ein kulturell-intellektueller Hotspot für viele Engagierte, unübersehbar mit dem Schwerpunkt auf zeitgemäße, junge, urbane - ja man muss wohl sagen: grüne - Themen: Ressourcenschonen, bewusste Ernährung, Radfahren, Nachhaltigkeit, Kunst und unaufgeregte Integrationsarbeit.

Das Politische ist ziemlich weit weg an diesem Vormittag, was die Laune vermutlich weiter hebt. Aber Veronika Peters, SPD-Mitglied seit 2015 (also eine Spätberufene), will den Gästen einen Exkurs in die Niederungen des Zanks nicht ersparen: "Ich habe gelernt, dass man alles sagen kann, was man will, wenn man es anständig sagt. Aber in der Politik wird das leider umgedreht." Für sie einer der Gründe, das Ratschhaus zu eröffnen. "Hier wollen wird zeigen, wie es anders geht!" Erneut Applaus. Und jetzt Musik bitte.

Wäre die Hütte auch dermaßen voll und die Stimmung so sonnig, wenn es sich um eine reine SPD-Veranstaltung handeln würde? Eher nicht bis gar nicht. Parteibücher sind hier Nebensache. Man muss sich nur umhören. "Vronis Ratschhaus steht gerade für politische Konfessionslosigkeit", sagt Bettina Krugsperger, nachdem sie mit ihrem Bruder Thomas "Kruxi" Krugsperger samt den Kollegen Matthias Vallet, Morli Huber und Thomas Zschrieling (Krugsperger & Krugsperger) einen vielbeklatschten Auftritt absolviert hat. "Freigeist passt hier viel besser her als ein politischer Stempel", findet die Sängerin und Saxofonistin. "Im Ratschhaus trifft sich das progressive Ingolstadt", sagt einer, der die Tristesse der SPD unabhängig bewerten kann und das auch tut: Stadtrat Jürgen Siebicke, Ex-Linker, seit 2016 bei der Bürgergemeinschaft. "Wir müssen Mehrheiten realisieren. Wir brauchen eine starke Opposition! Deshalb wäre es schlecht, wenn es mit der SPD noch weiter den Bach runtergeht. Das ist eine Aufgabe für uns alle!" Eines aber müsse der SPD alleine gelingen, sagt Siebicke: "Näher zu den Menschen gehen."

Stadtrat Robert Bechstädt, Sozialdemokrat, sieht das ähnlich. Er zählt - darauf angesprochen - die Defizite der Genossen unverblümt auf: "Ich will nicht alles auf die Bundespolitik schieben." Die SPD schaffe es nicht mehr, sich und ihre Erfolge gut zu verkaufen. "Wir reden zu viel über uns selbst! Wir erreichen die Menschen nicht mehr." Die SPD habe außerdem mit den Gewerkschaften "einen gesellschaftlichen Wandel verschlafen", sagt Bechstädt. "Den Arbeiter im eigentlichen Sinne gibt es lange nicht mehr. Unsere Gesellschaft hat sich zur Dienstleistungs- und dann zur Kommunikationsgesellschaft gewandelt, aber die Gewerkschaften sind diesen Weg nicht mitgegangen." Und die SPD sei es auch nicht. Das räche sich jetzt.

Karoline Schwärzli-Bühler, Sozialarbeiterin und SPD-Enthusiastin, wählt einen emotionalen Ansatz, um die Misere ihrer Partei zu erklären: "Vielleicht sind wir zu intellektuell, hinterfragen zu viel, denken zu viel nach. Vielleicht sind wir zu wenig emotional und viel zu ernst." Sie denkt kurz nach. "Ich bin ja selber so." Aber es bedürfen nun mal viele ernste Fragen einer Lösung: "Wie schaffen wir eine echte Bildungsreform? Wie sieht die Arbeit in der Zukunft aus? Was müssen wir heute dafür tun?" Bei diesem Stichwort fällt Schwärzli-Bühler noch ein möglicher Weg aus dem Jammertal ein: "Wir müssen nach vorne schauen! Und nicht mehr so viel auf die Geschichte unserer Partei." Also weniger Willy Brandt wagen, sozusagen.

Sonntag, Neujahrsempfang der Grünen. Sie haben bei der Landtags- und Bezirkstagswahl ihr Ergebnis verdoppelt, bringen die CSU in Verlegenheit - und jetzt retten sie auch noch die Bienen. Zur Unterstützung des Volksbegehrens "Artensterben" bitten die Grünen bestens gelaunt zum Tanz: Es gilt, die Schrittfolge für den "Biene-Maja-Flashmob" zu üben, der bald - Überraschung! - für Aufsehen sorgen soll. Barbara Leininger wird als Schirmherrin der Initiative "Ingolstadt summt" vorgestellt. Sie korrigiert sofort: "Bienenkönigin heißt das!" Und Fraktionschefin Petra Kleine hält eine Rede, dass es brummt im Büro der Grünen: "Nur grün bringt's! Stadt und Land sind grün wie nie zuvor. Grün ist der Zukunftstrend. Die Bürger wählen entschlossener grün als je zuvor." Immer wieder wird sie von Beifall unterbrochen. Kleines Reaktion: "Das geht alles von meiner Redezeit ab!" Kreisvorsitzende Steffi Kürten wacht streng über die Beachtung des Sieben-Minuten-Limits. OB Lösel tue so, "als sei die Ökonomie gefährdet und nicht die Ökologie - also unsere natürlichen Lebensgrundlagen", donnert Kleine. "Das ist letztes Jahrhundert!" Wieder Beifall.

Sind die Grünen gar schon euphorisch? Niemals, sagt Kürten später. "Wir waren immer so zwischen 5 und 10 Prozent, jetzt liegen wir plötzlich um die 20 Prozent - das ist eine unglaubliche Verantwortung! Das muss man erst mal stemmen können mit 95 Mitgliedern im Kreisverband." Unter dem Eindruck des Höhenflugs ihrer Partei weist Kürten jeden Eindruck von Angriffslust weit von sich. "Das Wichtigste ist, dass man eine menschliche Basis findet." Und sie verspricht: "Die Grünen werden einen fairen Kommunalwahlkampf führen - ohne ,Lösel muss weg'." Dämmert da Schwarz-Grün auf? Brisantes Thema. Die Grünen dürfen sich wohl bald daran abquälen.

Christian Silvester