Traurige Rituale

Kommentar

15.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:32 Uhr

Gerade war den Franzosen ein Stein vom Herzen gefallen. Während der Fußball-Europameisterschaft ist es nicht zu einem Terroranschlag gekommen, das massive Aufgebot an Sicherheitskräften hatte sich bewährt. Und auch der Nationalfeiertag schien ohne Zwischenfälle vorbeizugehen.

Dann aber kam der Horror über Nizza, dann schlug der Attentäter mit einer unfassbaren Brutalität zu. Traf die Grande Nation ins Mark. Abermals. Ohne ausgefeilte Strategie, nur mit einem Lastwagen. So primitiv wie wirkungsvoll.

Der terroristische Hintergrund liegt auf der Hand. Ob direkte Verbindungen zum "Islamischen Staat" bestehen, werden die Ermittlungen zeigen. Ebenso, ob es Hinterleute gibt. Doch der Täter passt ins Profil: ein 31-jähriger Kleinkrimineller aus Tunesien. Klar ist, dass der Anschlag den Strategen des IS gut ins Konzept passt. Denn die Botschaft an Frankreich und den Westen lautet: Ihr könnt euch nicht schützen, egal wie viele Polizisten ihr auf die Straßen schickt. Wir können zuschlagen. Jederzeit, überall.

Der Attentäter wusste, dass sich auch viele ausländische Besucher auf der Uferpromenade aufhalten würden, um das Feuerwerk zu bestaunen. Und es ist erklärtes Ziel der Terroristen, Urlauber zu töten und den Tourismus zu treffen. Der Anschlag galt uns allen. Dem Westen. Den "Ungläubigen". Den "Kreuzfahrern". Entsprechend groß ist das internationale Entsetzen. Doch es erinnert längst an ein trauriges Ritual, das immer dann zum Einsatz kommt, wenn die Welt erneut Trauer trägt.

Präsident FranÃ.ois Hollande will den Ausnahmezustand verlängern, sagt mehr Sicherheitspersonal zu, die Partner versprechen ihre Unterstützung, die Kanzlerin garantiert die "volle Solidarität" Deutschlands. Was aber folgt daraus? Ist die Bundesrepublik zum Beispiel bereit, sich stärker militärisch einzubringen? Das wird nämlich eine Voraussetzung sein, um den islamistischen Terror auszurotten. Bevor der IS nicht beseitigt ist, werden Terroristen weiter Anschläge in Europa verüben und versuchen, auf spektakuläre Weise möglichst viele Menschen zu töten. Dennoch dürfen wir uns nicht verrückt machen lassen. Sonst hätten die Fanatiker den Sieg errungen.