Ingolstadt
Traumschöne Töne

Fedor Rudin und Boris Kusnezow begeistern mit dem Programm "Heritage & Tradition" beim Konzertverein

29.04.2022 | Stand 23.09.2023, 1:03 Uhr
Beeindruckende Farbenvielfalt: Fedor Rudin (Violine) und Boris Kusnezow im Ingolstädter Festsaal. −Foto: Schaffer

Ingolstadt - Der französisch-russische Violinist Fedor Rudin hat aus guten Gründen das Privileg, eine ganz wunderbare Geige spielen zu dürfen.

Es handelt sich um ein Instrument von Lorenzo Storioni (Cremona, 1779) aus dem Deutschen Musikinstrumentenfonds, eine Leihgabe der Deutschen Stiftung Musikleben in Hamburg. Und wenn er darauf musiziert, entlockt er den Saiten - bald in perfekt timbrierter Nuancierung, bald in souverän rasender Geschwindigkeit - traumhaft samtige Töne. Wie zu Beginn seines Auftritts beim Konzertverein in Mozarts Sonate KV 303: Von lieblicher Anmut über innige Wärme bis zu zwischendurch immer wieder aufblitzender ruppiger Intensität entfaltet sich sein künstlerisches Ausdrucksspektrum im kongenialen Zusammenklang mit seinem sensibel agierenden Klavierpartner Boris Kusnezow.

Geradezu überwältigend gewaltig gerät diese Wirkung bei der Ersten Violinsonate von Sergei Prokofjew - ein Werk, das während der stalinistischen Kulturpolitik entstand und die bedrohliche Atmosphäre dieser Epoche widerspiegelt. Düsternis, Angst, Schrecken, Schmerz - all das ist zu hören in der Ausdeutung der beiden fantastischen Interpreten. Mysteriös und getragen - schrittweise bewegt sich Kusnezow anfangs an den Tasten, während Rudin dies mit fahlen, vereinzelt eingeworfenen, tremolierenden Seufzern kommentiert. Dann jedoch lassen sie die Atmosphäre immer beklemmender werden, schüren geisterhaftes Flirren, erstarren zu unerbittlicher Eiseskälte, zu ostinatem Pochen, lehnen sich brüsk gegeneinander auf, geben sich bittersüßen, sacht huschenden Traumvisionen hin, kumulieren sich zu einem ungezügelten Ritt, bevor alles wieder in nebulöser Dunkelheit zu verwehen scheint.

Dem Erbe und dem Andenken seines Großvaters, des Avantgarde-Komponisten Edison Denisov, widmet Fedor Rudin den zweiten Teil des Programms. Zunächst in Form eines überraschend abrupt abbrechenden Sonatenfragments von Denisovs Mentor Dmitri Schostakowitsch, in dem Anklänge an das später entstandene Klaviertrio, das Cello- oder das Violinkonzert hörbar sind.

Doch zum vielleicht erkenntnisreichsten Ereignis des Abends wird Denisovs frühe, im Stil der Zwölftontechnik geschriebene Violinsonate aus dem Jahr 1963. Aus pointilistischen Farbpunkten auf einer musikalischen Leinwand erschaffen Fedor Rudin und Boris Kusnezow hier ebenso detailreich verwobene wie wuchtig tönende Klanggemälde, kreieren aber auch schwebende Schattierungsschleier. Am Ende verharren beide in ihrer letzten Bewegung, so als ob sie die Zeit anhalten und den speziellen Zauber dieses Moments nicht zerstören wollten.

Impressionistisch schillerndes Kolorit verströmt das fantastische Duo in drei Szenen aus Claude Debussys unvollendeter Oper "Rodrigue et Chimène", die von Edison Denisov orchestriert und von seinem Enkel Fedor Rudin selbst zu einer Fassung für Violine und Klavier adaptiert wurden. Herrlich rund, satt und pastellig schimmern da die magisch subtil gestalteten Stimmungschangierungen. Traumhaft schön!

Umso kontrastreicher kommt am Ende Tschaikowskys "Valse-Scherzo" daher. Nun können die beiden Künstler mit all ihrer virtuosen Brillanz ungehindert dahinjagen, in scheinbar mühelos frei schwingendem Energiefluss. Und dem hingerissenen Publikum eine Zugabe gewähren - nämlich die tiefschürfend-leidenschaftliche "Improvisation", nochmals aus der stilistisch reichhaltigen Feder von Edison Denisov.

DK


Heike Haberl