München
Traum und Tragödie

Spannendes Beziehungsdrama: Anne Lenk inszeniert Franz Grillparzers "Das goldene Vlies" in München

08.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:27 Uhr

Medea wütet: Aus Rache an Jason tötet sie ihre eigenen Söhne und brennt den Palast nieder. Szenenbild mit Meike Droste (links) - Foto: Aurin

München (DK) Wollte man dieses „Dramatische Gedicht in drei Abteilungen“ vollständig aufführen, wäre das unter sechs Stunden wohl nicht zu schaffen. Ein Trauma zweifellos für die Schauspieler und selbst für die enthusiastischsten Theatergänger wohl eine Zumutung. Folglich haben die Residenztheater-Dramaturgin Andrea Koschwitz und die Regisseurin Anne Lenk dieses vom österreichischen Nationaldichter Franz Grillparzer (1791–1872) mit ausufernden Nebenhandlungen aufgeplusterte Historiendrama aus der griechischen Mythologie auf drei Stunden eingedampft. Das genügt ja auch, um dieses Stück des „bedeutendsten Dramatikers des alten habsburgischen Österreich“ (wie Grillparzer bereits zu Lebzeiten gefeiert wurde) heutzutage überhaupt noch auf die Bühne zu bringen.

Denn so bedeutend wie etwa „Die Jüdin von Toledo“ oder „Des Meeres und der Liebe Wellen“ ist „Das goldene Vlies“ in ganzer Länge wirklich nicht. Daher hat die Regisseurin aus Grillparzers 1821 im Wiener Burgtheater uraufgeführten Schmachtfetzen aus der griechischen Antike nur die Szenen herausgepickt, die von grenzenloser Liebe und deren Folgen sowie vom Leben und Überleben von Menschen in feindlicher Umgebung künden. Und wenn das Schicksal der aus der Heimat Geflohenen, Asylsuchenden, von Grillparzer auch thematisiert wurde, dann ist dieses Theaterstück ja durchaus aktuell, wenngleich so manch verschachtelte und ins Gesamtgeschehen nicht leicht einzuordnende Ereignisse schwer verständlich sind.

Von Medea kündet dieses Drama, Tochter des griechischen Königs Aietes, die das Titel gebende goldene Vlies behütet, das ihr Vater einst nach der Ermordung von Phryxus sich aneignete. Ein Widderfell ist diese Trophäe, die den Besitzer unbesiegbar macht. Doch als Jason, Sohn des Ermordeten, zusammen mit den Argonauten – wie der Autor die griechische Sage etwas umformuliert – das Goldene Vlies in seine Heimat wieder zurückholen will, verliebt er sich in Medea. Auf der Flucht geraten sie in das Reich des Königs Kreon, bei dem sie mit ihren inzwischen herangewachsenen zwei Kindern um Asyl bitten. Und einfacher wird die Liebe zwischen Medea und Jason auch nicht, als Jason in Kreons Tochter Kreusa (Nora Buzalka) seine Jugendliebe wiedererkennt und die alte Beziehung aufs Neue entflammt. Medeas Eifersucht auf ihre Nebenbuhlerin steigert sich ins Gigantische, als Jason und den beiden Kindern (Lukas Turtur und René Dumont), die inzwischen auf Kreons Bürotisch fleißig schreiben und lesen lernen, Asyl gewährt wird, Medea jedoch nicht. Ihre Rache ist fürchterlich: Sie ermordet ihre beiden Söhne und lässt Kreons Palast in Flammen aufgehen, während Kreusa mit dem Goldenen Vlies triumphierend entfleucht.

Obwohl das Programmheft Grillparzers Drama als Kritik an der europäischen Kolonialgeschichte vom 15. bis zum 20. Jahrhundert interpretiert, lässt die Regisseurin ihre Tragödienfassung als modernes, psychologisch bestens ausgefeiltes Beziehungsdrama voll attischer Wucht auf der Bühne des Residenztheaters abrollen. TV-Star Meike Droste („Mord mit Aussicht“) ist die Medea, die von der jungmädchenhaft unbekümmerten Verliebten zur selbstbewussten Powerfrau und letztlich zur unerbittlichen Amokläuferin sich wandelt, all diese Stationen mit Vehemenz ausfüllt und höchst intensiv durchlebt. Großartig.

Rollenadäquat gibt Oliver Nägele den von seiner männlichen Allmacht restlos überzeugten König Kreon ab, dem Medea bis zu ihrer Wahnsinnstat kräftig Paroli bietet, während Johannes Zirner als Jason ein schönes Beispiel eines stürmischen jugendlichen Lovers verkörpert, der zum Opportunisten mit eiskaltem Kalkül mutiert. Dazu hat Bühnenbildnerin Judith Oswald einen meist in mystisches Licht getauchten, kargen und nach allen Seiten offenen Raum geschaffen, über dem ganz symbolisch ein monumentales, blinkendes Weltenrad sich hebt und senkt, sowohl Menetekel als auch begehbarer Rettungssatellit.

Schade nur, dass die albtraumhaften Rückblenden, in denen das innere Geschehen der in lächerlich kriegerischem Aufputz wandelnden Figuren zum läppischen, pseudo-archaischen Mummenschanz verkommen sind. Das Premierenpublikum feierte diese Neuinszenierung jedoch mit lebhaftem Applaus für alle Beteiligten.

Die nächsten Aufführungen finden am 10. Dezember und 22. Dezember sowie am 9., 16. und 21. Januar statt. Karten gibt es unter Telefon (0 89) 21 85 19 40.