München
Tragödie mit Stil

Überzeugende Inszenierung aus London: "Titanic - The Musical" am Deutschen Theater München

17.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:50 Uhr
Frieder Betz
Der Untergang der RMS Titanic gilt als eines der dramatischsten Unglücke des 20. Jahrhunderts. "Titanic - The Musical" basiert auf den bewegenden Schicksalen der Menschen an Bord. −Foto: Rylander

München (DK) Alle, wirklich alle Wasservergleiche verbieten sich bei diesem Thema.

Also nichts von dem erfolgreichen Stapellauf eines Musicals in München, das garantiert keinen Schiffbruch erlitten hat und nichts über das erfolgreiche Navigieren des Produktionsteams vorbei an den bekannt gefährlichen Eisbergen namens Kitsch und Ennui. Es ist eine ernste Sache - und schon das ist durchaus bemerkenswert im Musiktheatersektor. Hier gibt es zwar von Albert Lortzings "Zar und Zimmermann" über Richard Wagners "Der fliegende Holländer" eine stabile nautische Traditionslinie bis zum "Showboat" oder dem Kreuzfahrtschiff aus "Ich war noch niemals in New York", aber stets geht es heiter oder zumindest abenteuerlich zu an Bord. Doch aus einem historischen Schiffsunglück mit rund 1500 Opfern eine unterhaltsame Bühnenshow zu formen, das ist schon ein starkes Stück.

Umso erstaunlicher, dass es gelingen kann, obwohl die Handlung vorhersehbar tragisch enden wird. Während der oscarprämierte Blockbuster mit Kate Winslet und Leonard DiCaprio aus dem Jahr 1997 die Lovestory der beiden Hauptrollen im Focus hatte, setzt das Musical, welches durch Verzögerungen in der Postproduktion knapp vor der Filmpremiere herauskam, auf das Breitbandformat. Im Jahr der Uraufführung waren übrigens ziemlich genau 85 Jahre seit der Katastrophe vergangen. Eine beeindruckende Menge von Passagieren und Mannschaftsmitgliedern findet in dieser musikgewordenen Panoramaaufnahme eines Schiffsunglücks ihren Platz. Viele von ihnen sind Männer: Der passionierte Technikfreak im Funkerzimmer, der Reeder, der Erbauer, der Kabinenjunge, der Kapitän, der Erste-Klasse-Stewart, aber auch ein Heizer, der sein Mädel in der Heimat vermisst. Sie alle sind knapp, aber so prägnant gezeichnet, dass man sie studieren kann wie auf einer jener überscharfen Familienporträts in der Frühzeit der Fotografie. "It's a Man's Man's Man's World" - nicht nur war die Mehrheit der Schiffsbelegung männlich, sondern auch ihre Opferzahl mit rund 80 Prozent am höchsten, geschuldet dem Appell "Frauen und Kinder zuerst! ".

Wie schön, dass in München ein so großes wie durchwegs stimmstarkes und darstellerisch überzeugendes Ensemble zu erleben ist. Neben vielen charaktervollen und mit schönen Arien versehenen Männerrollen finden sich im Plot auch drei schöne Paar-Konstellationen aus der ersten, zweiten und dritten Passagierklasse, was dem Musical die Gelegenheit gibt, dreimal das Thema Liebe und Tod zu deklinieren und den sozialen Aufsteigertraum der Holzklasse zu würdigen.

Dass all diese naturgemäß kurz angerissenen Rollenskizzen überhaupt so zwingend geraten, ist ein Phänomen, welches sich womöglich damit erklären lässt, dass die Macher des Musicals sich Namen und Biografien von echten Passagieren der Titanic ausgeliehen haben.

Der US-amerikanische Komponist Maurey Yeston hat sich hierzu einer vorwiegend ernsten musikalischen Sprache bedient, die auch Ausflüge in Choral oder Operngesang unternimmt und keine Scheu vor Melos oder lang ausgeführten Geigenlinien kennt. Manchmal aber glaubt man auch Cole Porter zu hören und natürlich spielt die tanzfreudige Musik der Bordkapelle, deren Mitglieder wohl in den Unglücksstunden unverzagt weitermusiziert haben und allesamt in den eisigen Fluten ertrunken sind, für die Musik eine prägende Rolle.

Man kann dieses so ernste wie ergreifende Musical, das mit einfachen Mitteln eine zentrale Episode der Menschheits- und Technikgeschichte erzählt eigentlich nur lieben, und so ist der lange und stehend erbotene Applaus des Publikums im Deutschen Theater keine Überraschung. Wichtig allerdings wäre, sich im Vorfeld nicht zu sehr auf die Handlung des Films zu versteifen. Dann würde man nämlich womöglich nicht darüber hinwegkommen, dass der ikonische Moment mit den zweifach ausgestreckten Armen und Celine Dion mit "My Heart will go on" fehlen. Und das wäre einfach nur jammerschade.

Deutsches Theater München, Vorstellungen bis 21. Juli, Kartentelefon (089) 55234444.

Frieder Betz