Schrobenhausen
"Tooor! Ich fass es nicht! Ich fass es nicht!"

Beim Public Viewing des Verkehrsvereins bibberten am Samstag rund Tausend Fußballfans bis zur letzten Minute mit der deutschen Mannschaft

24.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:11 Uhr
Und irgendwann war der Platz neben dem Altenheim dann doch ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer. Ein neuer Name machte an dem Abend auch die Runde: George's Club. −Foto: De Pascale

Schrobenhausen (udp) Livebilder aus Berlin und Köln flimmern über die Riesen-LED-Leinwand, die der Schrobenhausener Verkehrsverein am eigens dafür gesperrten Parkplatz beim Altenheim St. Georg aufgestellt hat. Das WM-Gruppenspiel steht an. Deutschland gegen Schweden. Jubelnde Menschenmengen sind auf der Leinwand zu sehen. In Schrobenhausen jubelt nix und niemand.

Ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer flattert via Bildschirm auf die Schrobenhausener Public Viewer hernieder - zwei, drei zaghaft geschwenkte Fähnchen flattern zurück. Und als die Deutschlandhymne über den St.-Georgs-Platz schallt, da ist es grade mal ein verschwindend kleines Grüppchen Mutiger, die sich zum inbrünstigen Mitgesang erheben - die Hand feierlich auf die Brust gelegt. Aber: viele sind es; gut und gern Tausend Leute, die hier auf ein kleines Fußballwunder hoffen.

Jogi Löw tigert durchs Bild - die Schrobenhausener Fußballfans tigern jetzt erst mal in Richtung der Verpflegungsstände, zur obligatorischen Halben Bier und der mittlerweile berühmten Schrobenhausener Bratwurst. "Ein Sieg soll her - muss her!", spricht ARD-Kommentator Tom Bartels derweil aus, was hier heute Sache ist; woran aber auf dem St.-Georgs-Platz irgendwie kaum einer so recht zu glauben scheint.
Dann: Die 32. Spielminute läuft. Gerade hat Sebastian Rudy sein blutverschmiertes Trikot wütend in die Ecke gepfeffert, nachdem der Fuß eines schwedischen Kontrahenten in seinem Gesicht gelandet war; die deutsche Mannschaft ist nach sechs langen Minuten mit Ilkay Gündogan endlich wieder zu elft auf dem Platz; Tom Bartels attestiert Mittelfeldspieler Toni Kroos "ungewohnte Schlampigkeit" - da knallt der Ball ins Tor. Allerdings ins falsche. Wieder tobt eine jubelnde Menschenmenge über den Bildschirm. Kein einziger Schrobenhausener jubelt mit. Logisch.

In der Pause braucht's dann erst mal Nachschub an den Verpflegungsständen. Nervennahrung. Durch übermäßigen Optimismus tun sich jetzt die wenigsten Schrobenhausener Fußballfans hervor. Es geht in Richtung zweiter Halbzeit - die meisten scheinen innerlich schon mit der WM abgeschlossen zu haben. Dann, in der 48. Minute kracht es wieder - und diesmal sogar im richtigen Tor: Marco Reus schafft den Ausgleich. Jetzt zeigt sich ein erstes Mal, dass Schrobenhausen eben doch jubeln kann. Aber ein Unentschieden - so ganz reicht das ja doch noch nicht.

Es folgt der Platzverweis gegen Boateng, wieder spielt Deutschland nur zu zehnt. Die Nachspielzeit läuft. Letzte Minute. Timo Werner holt einen Freistoß raus. Wenige Augenblicke später passiert das, was auf dem St.-Georgs-Platz - und wahrscheinlich auch im Rest der Republik - kaum noch einer für möglich gehalten hätte. Toni Kroos legt einen Traumtreffer hin. "Tooor! Ich fass es nicht! Ich fass es nicht!", brüllt Bartels jetzt - und mit ihm die Schrobenhausener. Ekstase auf den Rängen in Sotschi - Ekstase auf dem Schrobenhausener St.-Georgs-Platz. Wo auch immer sie die plötzlich alle herhaben: Jetzt hat sich auch der St.-Georgs-Platz in ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer verwandelt.