Schrobenhausen
Toni Drexler: "Es gibt noch viel zu tun"

11.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:53 Uhr
Toni Drexler hat die Humanitäre Hilfe im Schrobenhausener Land geprägt. Jetzt gibt er die Führung nach 36 Jahren an BRK-Kreisgeschäftsführer Robert Augustin (l.) ab. Viel ist geschehen in diesen Jahren; unvergesslich bleibt die Rettung von Emilia in Rumänien: 1995 überlebte das Kind durch die im letzten Moment fertig gewordene Dialyse-Station; Heute ist die junge Frau 35 Jahre alt (Mitte). Dabei hat Toni Drexler immer Flexibilität und vielseitiges Können bewiesen, rechts installiert er gerade einen Patientenmonitor in der Kinderklinik St. Maria im rumänischen Iasi. −Foto: Fotos: Hastreiter

Schrobenhausen (DK) Auf Vorstandsebene ist der Schritt schon beschlossen, heute werden die Mitglieder informiert: Toni Drexler zieht sich nach 36 Jahren an der Spitze des BRK ins zweite Glied zurück. Da werden viele Erinnerungen wach.

Leicht sei ihm der Schritt nicht gefallen, aber die Gesundheit lasse ihm keine andere Wahl, sagte Toni Drexler vor seinem erweiterten Vorstandsgremium. Der Vorsitzende geht aber nicht einfach so von Bord. Für die Humanitäre Hilfe, die er vor 36 Jahren mit einem Lebensmitteltransport nach Polen ins Leben rief, präsentierte er zwei neue Führungskräfte, von denen er überzeugt ist, dass die Organisation bei ihnen in besten Händen ist. Drexlers Nachfolge übernimmt BRK-Kreisgeschäftsführer Robert Augustin, für den verstorbenen Schatzmeister Diether Brandt kommt stellvertretender Kreisgeschäftsführer Anton Gutmann ins Amt.

Die Berufung der beiden durch den Vorstand war einstimmig, vorstellen werden sie sich heute Abend bei der Mitgliederversammlung, die um 19 Uhr im BRK-Zentrum am Högenauer Weg 11 beginnt. Dabei stehen aber noch keine Wahlen auf der Tagesordnung. Die folgen satzungsgemäß erst im Jahr 2019. So sind dieses Mal lediglich die üblichen Regularien abzuarbeiten: Die Berichte des Vorsitzenden, des Schriftführers, des Schatzmeisters sowie die Entlastung des Vorstandes und eine Aussprache.

Für Toni Drexler beginnt nach der Versammlung noch lange nicht der Ruhestand. Er wurde vom Vorstand für den vor einem Jahr plötzlich verstorbenen Toni Euba in den Beirat berufen. "Wir brauchen ihn ja weiterhin dringend", sagt zweiter Vorsitzender Georg Ottinger und erinnert daran, "dass sich mit dem Fuhrpark keiner besser auskennt wie der Toni, dass kein anderer die Bestände in beiden Warenlagern immer im Kopf hat und dass nur er die unzähligen Spender und Spendenempfänger persönlich kennt."

Im Vorfeld der Versammlung hat sich Drexler per Brief bereits bei denen bedankt, die bei den fast 130 Hilfsaktionen mitgewirkt haben. Eine Woche Urlaub sei für jeden Hilfstransport das Minimum an Zeitaufwand gewesen. Und auch Fahrten selbst bezeichnet Drexler nicht als Spaziergang. Einsammeln der Spenden, Beladen der Lkw, weite Anreise, Abladen an verschiedenen Orten und dann die lange Rückfahrt. Viel Schlaf habe es da nie gegeben und oft seien die Nächte auf Feldbetten verbracht worden.

Drexler erinnert sich sehr gut an die erste Fahrt: "Es war an einem Mittwoch, genau gesagt am 17. März 1982. Da verabschiedete der damalige Bürgermeister Josef Höllbauer unseren BRK-Chefarzt Peter Sedlaczek und mich ins polnische Mikolov, wo die hungernde Bevölkerung auf Unterstützung wartete. Das war die Geburtsstunde der Humanitären Hilfe, von der nie jemand gedacht hätte, dass sie sich zu einer so vielseitig aktiven Organisation entwickeln würde." Wer auf einer Landkarte die Orte mit Nägeln markiere, die inzwischen mit Hilfsgütern versorgt haben, der schaffe ein Sitzkissen für einen Fakir. Und wer die dicken Ordner mit den Ladelisten für die Lkw zusammenzähle, stelle fest, dass Hilfsgüter transportiert worden seien, die unzählige Güterzüge gefüllt hätten.

"Wie geht es weiter?", fragt Drexler und antwortet gleich: "Keine Sorge! Wir bleiben die Alten." Das Bewährte werde beibehalten, aber durch die neuen Vorstandsmitglieder sei die Humanitäre Hilfe landesweit noch besser vernetzt, sodass noch mehr interessante Aufgaben auf sie zukommen könnten. Weiterhin werde es Aktivitäten über die Grenzen hinweg, aber auch vor der eigenen Haustüre geben. "Es gibt viel zu tun, so schnell werden wir nicht arbeitslos. Schaut Euch nur die Nachrichtensendungen an, dann seht Ihr, dass noch viel Arbeit auf uns wartet", betont Drexler in seinem Brief.

Ein umfangreiches Dankeschön widmet er seinen Mitstreitern. "In 36 Jahren haben wir über 130 Hilfszüge organisiert, hunderte von Freiwilligen haben sortiert, verpackt, geladen, transportiert und verteilt. Der Wert der Waren, die wir in arme Länder gebracht haben, beläuft sich zwischenzeitlich auf deutlich über vier Millionen Euro." Aber was sei schon Geld. Viel ergreifender sei für die Beteiligten gewesen, als durch die Einrichtung von Dialyse-, Frühchen- oder Intensivstationen das Leben von Kindern und Patienten gerettet werden konnte. Was gebe es schöneres, was sei ergreifender?

Wenn die Mitgliederversammlung heute zusammentritt, dann wird bestimmt wieder vom Lebenswerk des Gründungsvorsitzenden zu hören sein. Das kommt nicht von ungefähr und auch nicht zum ersten Mal. Schließlich hat der Rotkreuzmann ja nicht nur mit der Humanitären Hilfe ein Stück Schrobenhausener Geschichte geschrieben, sein Name ist auch eng verknüpft mit dem Aufbau des modernen Rettungswesens und mit der Errichtung der Rettungswache und des BRK-Zentrums am Kreiskrankenhaus. So kommt es nicht von ungefähr, dass er fast jeden Schrobenhausener kennt - und auch umgekehrt. "Ich hatte sie ja fast alle einmal im Rettungswagen", erklärt der langjährige Wachleiter.

Und wer ein Lebenswerk vorzuweisen hat oder ein Urgestein ist, wie an anderer Stelle gesagt wurde, der kommt an Auszeichnungen nicht vorbei. Meilenstein war zweifellos das von Innenminister Joachim Herrmann am 14. November 2015 verliehene Bundesverdienstkreuz. Die Delegierten aller Bayerischen Kreisverbände erhoben sich in der Alten Schweißerei der Firma Bauer zu Ehren von Toni Drexler und spendeten minutenlang Beifall. Zwei Jahre später folgte der Titel Ehrenkreisvorsitzender des BRK. Weil er als Stadtrat über Jahre hinweg Schrobenhausener Geschicke mitgestaltet hat, wurde ihm schon vorher, im Jahr 2012, die Goldene Bürgermedaille überreicht. Als ihn Bürgermeister Karlheinz Stephan zwei Jahre später aus dem Stadtrat verabschiedete, sprach er zum ersten Mal von einem "Urgestein". 2012 gehörte er im Münchner Rathaus zum handverlesenen Kreis derjenigen, denen das Bayerische Rote Kreuz seine höchste Auszeichnung an die Brust heftete, das Ehrenzeichen der Bereitschaften in der Stufe Gold. Es folgte eine Einladung zum Fest des Bundespräsidenten für die Ehrenamtlichen in Berlin und dann meldete sich das Deutsche Rote Kreuz. Im Juni 2015 wurde der BRK-Mann aus Schrobenhausen mit der höchsten Auszeichnung des Bundesverbandes bedacht, Präsident Theo Zellner verlieh das Ehrenzeichen des DRK.

Kontakte zum Roten Kreuz hat Toni Drexler praktisch schon seit Kindesbeinen. 1941 in der Rotkreuzstraße geboren, hatte er zur damaligen Dienststelle nur wenige Meter. Bereits 1955 wurde er Mitglied beim Jugendrotkreuz, beruflich entschied er sich aber zunächst für eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Hauptamtlicher Mitarbeiter des BRK sei er 1972 geworden, erzählt Drexler, nachdem ihm der damalige Wachleiter Gustl Rotter keine Ruhe mehr gelassen hatte. Zwar habe er durch den Wechsel vom Kfz-Mechaniker zum Krankentransportfahrer (so hießen Rettungsassistenten damals) weniger Geld verdient, den Schritt habe er aber nie bereut. Er brachte es bis zum Kolonnenführer, zum Dienststellenleiter und zum Kreiskolonnenführer. Die Hilfszüge rollten schon, da nahm er den Bau der neuen Dienststelle am Kreiskrankenhaus in Angriff, die 1990 eingeweiht wurde. Ebenfalls unter Drexlers Regie lief der Bau des Zusatzgebäudes, das heute das BRK-Zentrum und Garagen beherbergt.

Den Beginn der Schrobenhausener Hilfsaktivitäten bildete Polen. Schon damals zeigte Drexler sein Organisationstalent, als er die notwendigen Lastwagen zusammenbettelte und als er auch unermüdlich um Spenden warb. Bei Hilfszug Nummer drei luden die Stapler schon 80 Tonnen Ladung auf die Laster. Die Pause dauerte nur wenige Jahre. 1989 begann der große Umbruch im Osten. Die Wende in der DDR, die Revolution in Rumänien. Ende Dezember wurde Diktator Ceaucescu hingerichtet, nur fünf Wochen später rollte der erste Schrobenhausener Hilfstransport los. Es war die eigentliche Geburtsstunde der Humanitären Hilfe, die erst viele Jahre später tatsächlich als eingetragener Verein gegründet werden sollte. Die Arbeit dagegen lief auch ohne das "e.V." reibungslos. Bald wurde die Struktur der Hilfe angepasst. Neben Lebensmitteln und Kleidung stand auch schon früh der Aufbau von Infrastruktur auf der Agenda. Soziale Einrichtungen rückten ins Blickfeld. So wurden Krankenhäuser, Altenheime und Kinderheime aufgerüstet.

Inzwischen sind Drexler und seine Frauen und Männer eigentlich überall hingefahren, wo man wegen der Not hinfahren muss. So stehen Länder wie Armenien, Albanien, Kosovo, Litauen, Russland, die Türkei, Georgien, Bosnien, die Ukraine und Ungarn auf der Einsatzliste. 1997 klopfte Manfred Schwaak von der Kinderhilfe Litauen bei Drexler an. Seitdem wird mindestens einmal jährlich in den hohen Norden gefahren, um vorwiegend behinderten Kindern eine Weihnachtsfreude zu bereiten. Das Werk ihres Vaters führt inzwischen Tochter Eva Klingenberg fort und hat auch weiterhin Toni Drexler an ihrer Seite. Aber nicht nur im Ausland freuen sich Menschen über die Aktivitäten des Roten Kreuzes. Alljährlich packt die Humanitäre Hilfe auch Weihnachtspakete für sozial Schwache im Landkreis.

Vieles ist inzwischen einfacher geworden. Was damals schockte, wird heute als Episode erzählt. So wurden in Polen zwei Hilfszugfahrer verhaftet, weil sie Mehl an die Bevölkerung verschenkt hatten. Die Rekordwartezeit an der russischen Grenze wurde mit 32 Stunden gemessen, an der österreichisch-rumänischen Grenze wurden den Lkw-Fahrern die Handtaschen mit sämtlichen Papieren geklaut und in Rumänien machte der Zoll Stress, weil das Haltbarkeitsdatum für Waschpulver nicht zu finden war. Ärger war und ist bei Hilfszügen an der Tagesordnung.

Dieses Jahr der Entscheidungen im Vorstand sei Anlass für einen ganz besonderen Dank, erklärt Drexler und bittet Mitglieder und Spender, der Humanitären Hilfe weiter die Treue zu halten und auch die neuen Vorstandsmitglieder zu unterstützen. Wenn er heute gefragt wird, wie es weitergeht, dann betont er das, was er schon bei der Verleihung seiner Auszeichnungen sagte: "Es gibt noch viel zu tun!" Und die Orden und Ehrenzeichen. Was kommt denn nach dem Bundesverdienstkreuz? Fehlt eigentlich nur noch eine Ehrenbürgerschaft. "Die habe ich bereits", schmunzelt Drexler. "Als ich in irgendeinem Nest in Rumänien meine Hilfsgüter abgeladen hatte, da wurde sie mir schon verliehen..."
 

Günther Hastreiter