Todesschuss vor Gericht

„Reichsbürger“ von Georgensgmünd muss sich ab Dienstag wegen Mordes verantworten

23.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:36 Uhr
Eine gelbe Linie markiert die Grenzen des „Reichsbürger“-Grundstücks, auf dem ein Polizist erschossen wurde. −Foto: Karmann/dpa

Nürnberg (dpa) Am Landgericht Nürnberg startet am Dienstag der Strafprozess gegen einen „Reichsbürger“, der im Oktober 2016 in Georgensgmünd (Kreis Roth) einen Polizisten erschossen haben soll. Die Anklage lautet auf Mord, versuchter Mord und Körperverletzung.

Die Grenzen des „Regierungsbezirks Wolfgang“ sind noch da. Um sein Grundstück hatte der Hausherr lange gelbe Linien gezogen, gewissermaßen sein Revier abgesteckt. Und wer die Botschaft nicht versteht, dem sei ein Blick auf den Briefkasten empfohlen. Auf einem angenagelten Schild steht unter einem Hinweis auf die Territorialverhältnisse eine klare Ansage: „Mein Wort ist hier Gesetz!“

Als der deutsche Staat Mitte Oktober 2016 in Form der Polizei anrückt und ihm seine Waffen abnehmen will, sieht der Bewohner rot. Im Haus soll er laut Anklage mehrere Schüsse auf Beamte abgefeuert haben, ein Polizist stirbt, zwei tragen Verletzungen davon.

Gut zehn Monate nach dem Drama im südlich von Nürnberg gelegenen Georgensgmünd beginnt am Dienstag der Prozess gegen P. Das Verfahren wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf eine Bewegung, die lange kaum jemand auf dem Zettel hatte: die „Reichsbürger“. Für sie ist die Bundesrepublik eine Fata Morgana, kein souveräner Staat, nichts weiter als ein Unternehmen, das manche Anhänger auch „BRD GmbH“ bezeichnen. „Reichsbürger“ zimmern sich ihre eigene Welt jenseits vom Staat – samt offiziell anmutender Papiere, die sie als Teil dieser anderen Ordnung ausweisen.

Vor dem Anwesen von Wolfgang P. rätselt Peter Bauer, wie es mit seinem Bekannten so weit kommen konnte. Er kenne P. von Kindesbeinen an. Jahrelang habe er ein Kampfsportstudio betrieben und für die Gemeinde und Schulen im Ort Selbstverteidigungskurse angeboten – das habe er schon „fast als Friedensbotschaft“ verstanden. Wie wurde aus einem Friedensbotschafter ein Gewalttäter? Dass er aggressiv werden könnte, dafür habe es keine Hinweise gegeben. Dass sich P. einmal vehement gegen eine Abwasserabgabe der Gemeinde gestemmt habe, sieht Bauer nun als Hinweis auf eine staatskritische Gesinnung.

P. ist nicht der Einzige: Für das erste Quartal 2017 geht der Bundesverfassungsschutz von rund 12 600 Anhängern der „Reichsbürger“-Szene bundesweit aus. Seit Ende 2016, damals wurde das Potenzial auf rund 10 000 geschätzt, habe sich deren Zahl damit um etwa ein Viertel erhöht. In Bayern wird mit mindestens 3000 „Reichsbürgern“ gerechnet. Mit zwei von ihnen hat Roland Frick Bekanntschaft gemacht. Frick ist Bürgermeister der Gemeinde Pliening, dem Sitz der „administrativen Regierung“ des sogenannten „Bundesstaats Bayern“.

Im Sommer 2014 kamen erstmals zwei „Reichsbürger“ in Fricks Büro und legten ihm ihre Weltanschauung dar. „Sie wollten ihre Ausweise abgeben, weil sie den Staat nicht anerkennen“, berichtet Frick. Im Gemeindeleben spielten die beiden zwar keine Rolle. Und doch sei er seit dem Vorfall in Georgensgmünd aufmerksamer geworden, sagt der Bürgermeister.

Aber wie umgehen mit dem Phänomen? „Reichbürger“ ist nicht gleich „Reichsbürger“, heißt es aus dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Man habe es mit einer Splitterbewegung, der unterschiedliche Menschen angehören, zu tun: Verschwörungstheoretiker, Neonazis, psychisch Kranke, Staatsverdrossene, Querulanten. Sobald Waffen ins Spiel kommen, kann es gefährlich werden – wie bei Wolfgang P.

Im Frühjahr 2016 wird das Landratsamt auf den Hobbyjäger aufmerksam, nachdem ein Vollstreckungsversuch der Zoll- und Steuerbehörde bei P. keinen Erfolg hat. Später wird der Besitzer von rund 30 Waffen als nicht länger zuverlässig eingestuft, verweigert aber im Sommer mehrmals der Polizei und Waffenkontrolleuren den Zutritt zu seinem Grundstück. Irgendwann steht dann ein Spezialeinsatzkommando vor der Tür. Die Lage eskaliert – und aus dem „Regierungsbezirk Wolfgang“ wird ein Tatort.