Tod auf der Spielerbank

Vor 20 Jahren ereignete sich die größte Tragödie in der Geschichte der Deutschen Eishockey-Liga (DEL)

06.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:34 Uhr
Gemeinsame Trauer um Stéphane Morin: die Mannschaft der Berlin Capitals beim Derby gegen die Eisbären am 10. Oktober 1998. −Foto: Engler/dpa

Vor 20 Jahren ereignete sich die größte Tragödie in der Geschichte der Deutschen Eishockey-Liga (DEL): Am 6. Oktober 1998 erlitt der kanadische Stürmer Stéphane Morin während eines Spiels seiner Berlin Capitals in Oberhausen einen Herzstillstand und starb. Sein damaliger Mitspieler Clayton Beddoes, in der vergangenen Saison Co-Trainer des ERC Ingolstadt, erinnert sich.

Das zweite Drittel in der Oberhausener Arena ist erst ein paar Minuten alt, als Stéphane Morin von einem Wechsel auf dem Eis zur Bank der Berlin Capitals zurückläuft. Der Franko-Kanadier ist im Sommer als Hoffnungsträger zu den Berlinern gewechselt, immerhin blickt er auf 90 Partien in der NHL zurück, der besten Eishockey-Liga der Welt. In der zweitklassigen AHL sammelte Morin gar beeindruckende 318 Punkte in 261 Spielen.

Und auch die Saison beim Hauptstadt-Klub lässt sich gut an: Im ersten Drittel hat Morin noch das 3:0 für seine Mannschaft erzielt, es ist schon sein drittes Saisontor im siebten Spiel, der 29-Jährige ist sogar Topscorer. "Er war ein ruhiger Typ, aber er hatte Feuer und Leidenschaft für seinen Sport", charakterisiert ihn sein damaliger Mitspieler Clayton Beddoes, neben dem Morin an jenem Dienstagabend auf der Bank Platz nimmt.

"Ich erinnere mich, dass Stéphane sich über seine Leistung ärgerte", berichtet Beddoes, der fast 20 Jahre später den ERC Ingolstadt als Co-Trainer betreuen wird. "Plötzlich brach er zusammen. Keiner wusste, was los war. Mir war aber schnell klar, dass es ernst sein musste, denn da war kein Leben mehr in seinem Körper. So etwas hatte ich noch nie gesehen." Mitspieler berichten, Morin habe über Übelkeit geklagt, ehe er zusammensackte.

Sofort eilen die Mannschaftsärzte herbei. Sie kämpfen um das Leben Morins, der einen Herzstillstand erlitten hat und ins Koma gefallen ist. Der Schiedsrichter unterbricht das Spiel und schickt beide Mannschaften in die Kabinen. "Es war totenstill. Alle paar Minuten kamen neue Informationen. Wir dachten, dass er wohl das Bewusstsein verloren hatte und gingen davon aus, dass er okay war. Selbst als wir hörten, dass er wiederbelebt wurde, waren wir noch optimistisch. Als dann die Nachricht kam, dass er gestorben ist, war das traumatisch. Alle waren erschüttert, keiner wusste, wie er reagieren sollte. Ich glaube, dass jeder in diesem Raum geweint hat", erinnert sich Beddoes, der heute als Nationaltrainer Italiens arbeitet.

Die Tränen sind noch nicht getrocknet, als die Mannschaft nach Berlin zurückkehrt. Doch der eng getaktete Zeitplan des Profisports erlaubt keine Trauer - schon am nächsten Wochenende steht für die Capitals das Berliner Derby bei den Eisbären im Wellblechpalast an. "Die meisten wollten das Spiel verlegen lassen, aber das ging aus irgendwelchen Gründen nicht. Es ist zwar gut, schnell wieder zur Tagesordnung überzugehen und sich mit seinen gewohnten Abläufen abzulenken. Aber ich bin mir sicher, dass einige Jungs mehr Zeit gebraucht hätten", sagt Beddoes.

Am schlimmsten ist Morins Tod zweifellos für dessen Ehefrau Karen und den erst zweijährigen Sohn Frederick, für die ein Benefizspiel organisiert wird. Doch auch die Mannschaft erholt sich nicht von dem Schock. "Als Team und Freunde sind wir sehr nah zusammengerückt, aber auf dem Eis haben wir das nicht abschütteln können", erzählt Beddoes. "Wir haben ihn als Spieler nicht ersetzen können. Es war zu verstörend, wir konnten uns kaum mehr aufs Eishockey konzentrieren. Wir haben die Play-offs verpasst."

Die Obduktion ergibt, dass Morin Jahre zuvor ein unerkannter Herzinfarkt ereilt hatte und er unter chronischer Bronchitis litt. In manchen Medien machen Dopinggerüchte die Runde. Beddoes weist das wie damals die Vereinsvertreter zurück: "Der Klub oder die Verantwortlichen haben niemals Dopingmittel angeboten oder uns zu etwas Unerlaubtem gedrängt. Ich glaube auch nicht, dass Stéphane etwas Illegales zur Leistungssteigerung genommen hat."

Bei den Capitals hatte Morin vor Saisonbeginn eine sportärztliche Untersuchung absolviert - ohne Auffälligkeit. Auch zuvor in Nordamerika war sein angeschlagenes Herz nie bemerkt worden. "Damals waren die medizinischen Standards zeitgemäß und akzeptabel, an die damaligen Regeln angepasst. Ich habe mich auf dem Eis immer sicher und gut betreut gefühlt", berichtet Beddoes.

In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Sensibilität für medizinische Themen allerdings dramatisch verändert. "Damals gab es noch nicht dieses Bewusstsein, das es heute gibt. Mit Gehirnerschütterungen ist es dasselbe. Heute weiß man viel mehr um die Gefahren und ist aufmerksamer. Und es wird weitere Fortschritte geben", ist Beddoes überzeugt. Und fügt hinzu: "Es ist schlimm, dass so etwas passiert ist, aber Stéphanes Tod hatte einen großen Effekt auf Ligen und Teams, wie sie ihre Spieler medizinisch betreuen und schützen."
 

Alexander Petri