Regensburg (dpa
"Tiefe Erschütterung und Scham"

Bistum Regensburg und Domspatzen arbeiten Fälle von sexuellem Missbrauch auf

27.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:22 Uhr

Regensburg (dpa/AFP/KNA) Dutzende Fälle von Misshandlung und sexuellem Missbrauch haben das Bistum Regensburg erschüttert. Auch bei dem weltberühmten Chor der Domspatzen war es zu Übergriffen gekommen. Die Fälle sollen nun von einem unabhängigen Gutachter aufgeklärt werden.

In Zusammenarbeit mit der Opferorganisation Weißer Ring wurde der Regensburger Rechtsanwalt Ulrich Weber damit beauftragt, Missbrauchsfälle bei der Vorschule, dem Musikgymnasium, dem Chor und Internat der Domspatzen seit dem Jahr 1945 aufzuarbeiten. Das teilten der Knabenchor und das Bistum Regensburg gestern mit. Der Anwalt soll binnen eines Jahres einen Bericht erstellen.

Die Regensburger Domspatzen gehören zu den bekanntesten deutschen Knabenchören und ältesten Knabenchören der Welt. Von 1964 bis 1994 – und damit einem Großteil der nun zu untersuchenden Jahre – verantwortete der Bruder von Papst Benedikt XVI., Georg Ratzinger, als Domkapellmeister den Knabenchor.

Erste Berichte über körperliche Züchtigungen und sexuellen Missbrauch in dem Chor wurden im Jahr 2010 mit dem deutschlandweiten Bekanntwerden des Missbrauchsskandals der katholischen Kirche veröffentlicht. Im Februar gab das Bistum bekannt, dass 72 ehemalige Domspatzen erhebliche körperliche Gewalt geschildert haben und mit 2500 Euro entschädigt werden sollten. Zudem werden die Kosten für notwendige Therapien übernommen. Es gab allerdings anhaltend Vertuschungsvorwürfe gegen das Bistum Regensburg. Bis heute ist unklar, wie viele Fälle von sexuellem Missbrauch es bei den Domspatzen gab.

Wie der Regensburger Generalvikar Michael Fuchs sagte, soll der mit der Aufklärung beauftragte Anwalt „unabhängig und ergebnisoffen“ arbeiten können. „Dies ist die Voraussetzung für ein glaubwürdiges und umfassendes Resultat.“ Rechtsanwalt Weber sagte, er sei nach mehreren Vorgesprächen überzeugt, wirklich unabhängig arbeiten zu können.

Domkapellmeister Roland Büchner entschuldigte sich bei den Opfern „in tiefer Erschütterung und Scham“ und bat um Vergebung. „Für die Öffentlichkeit ist es notwendig, eine unabhängige Institution einzuschalten, die eine Begutachtung der im Raum stehenden Taten, Vorwürfe und Verdächtigungen vornimmt und darüber berichtet.“ Bei den Domspatzen gebe es seit Jahren einen Arbeitskreis Prävention, in dem Schüler, Eltern und Lehrer für das Thema sensibilisiert werden. Zudem sei ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis für alle Mitarbeiter sowie eine Fortbildung zur Prävention sexualisierter Gewalt verpflichtend.

„Ich springe in kaltes Wasser, in ein Becken, dessen Tiefe ich nicht kenne“, sagte der mit der Begutachtung der Missbrauchsfälle bei den Domspatzen beauftragte Rechtsanwalt Ulrich Weber. „Mein Ziel ist es, Transparenz zu schaffen, strukturelle Defizite im Umgang mit Missbrauchsfällen aufzuzeigen und die Präventionsarbeit zu verbessern“, betonte Weber.

Der langjährige Opferanwalt vom Weißen Ring will „das Geschehene sichtbar machen, den Betroffenen Gehör verschaffen und dazu beitragen, dass Antworten gefunden werden, wie wir solche Geschehnisse künftig verhindern können“. Sein erster Schritt sei, mit den Opfern ins Gespräch zu kommen. Der Jurist will einen Beratungskreis aus Fachleuten einsetzen und alle verfügbaren Unterlagen sichten. Dazu gehören auch öffentlich nicht zugängliche Papiere aus dem Regensburger Ordinariat wie Personalakten des Bistums und persönliche Notizen des Generalvikars.

Nach derzeitiger Planung wird in etwa einem Jahr ein Abschlussbericht erstellt sein. Dieser solle „anonymisiert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“ werden, kündigte Weber an.