München
Tief wurzelnder Weltbürger

"Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur": Eine Ausstellung über Ödön von Horváth im Münchner Theatermuseum

27.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:11 Uhr
Sabine Busch-Frank
Die Ausstellung im Münchner Theatermuseum verläuft entlang von zentralen Stücken. Ein Saal präsentiert etwa das stilisierte Ambiente des Oktoberfests zu "Kasimir und Karoline" und der im Werk Horváths allgegenwärtigen Erotik. −Foto: Caspar Neher/KHM-Museumsverband, Österreichische Nationalbibliothek, Stadtarchiv München

München (DK) Ein ambitionierter Diplomatensohn, geboren in Ungarn und gestorben in Paris - so könnte man richtig und zugleich völlig falsch das kurze Leben von Ödön von Horváth auf einen Nenner bringen.

Er wurde mit nur 36 Jahren bei einem Gewitter auf den Champs-Élysées von einem herabstürzenden Ast erschlagen. Wie nur stimmt alles zusammen, was Nachwelt und Wissenschaft über diesen Literaten zusammengetragen haben? Wie passt sein kurzes Leben zum umfassenden Werk, seine tiefe Verwurzelung im volkstümlichen Humus der deutschen Sprache mit dem kühlfremden Bildungsjargon, den er für die Bühne erfunden hat, sein politisch hellwacher Kopf zu jenem kruden Aberglauben, der ihn am Tag seines Todes gehindert hat, sicher mit dem Auto ins Hotel zu fahren?

Eine Ausstellung in München, welche das Deutsche Theatermuseum am Hofgarten als Übernahme aus dem Wiener Theatermuseum soeben eröffnet hat, geht diesen Fragen nach. Die Kuratoren Nicole Streitler-Kastenberger und Martin Vejvar haben den Bühnenbildner und Ausstellungsmacher Peter Karlhuber ins Boot geholt, der sich auf das kunstvolle Visualisieren von Literatur spezialisiert und schon vor fünf Jahren mit der Wedekind-Schau hier eine Marke gesetzt hat. Für Wedekinds Zeitgenossen Ödön von Horváth haben sich die Kuratoren darauf verständigt, jeweils einen atmosphärisch gestalteten Raum einem Stück zu widmen und damit zugleich die drei thematischen Komplexe "Erotik, Ökonomie und Politik" abzudecken. Das Konzept geht auf. Was zunächst so gar nicht zusammenzupassen scheint, verwächst organisch zu einem Kompendium des prallen Menschenlebens.

Im Saal "Italienische Nacht", ein 1931 in der Berliner Brecht-Heimstätte am Schiffbauerdamm uraufgeführtes Stück, liegen Bierbänke und Reste einer Festdekoration am Boden. Hier hat eine politische Saalschlacht mit Maßkrugschlägerei stattgefunden zwischen Sozialisten und Nationalsozialisten, Informationen in Schaukästen ergänzen den Kontext. "Kasimir und Karoline" begegnet man vor dem Kettenkarussell, wo nach Lebkuchenherz und Zuckerwatte unweit von Venustempel und Autodrom schon manches Mädel einem Hallodri verfallen ist. Parallelen zu volltrunkenen Flirtversuchen beim Oktoberfest stellen sich ganz von selbst ein.

Im dritten Saal werden dann in einer stilisierten Metzgerei "Geschichten aus dem Wiener Wald", wo Ökonomie und Fleischeslust in allen Facetten zusammenfinden, erzählt. Eine gute Gelegenheit, um über das Frauenbild einer Zeit nachzudenken, die wirtschaftlichen Aufstieg nur für oder durch Männer vorsah. Sinnige Erweiterung findet die Schau durch einige neu hinzugefügte bayerische Akzente, denn Horváth hat im unsteten Reiseleben seiner Eltern nicht nur zwei mäßig erfolgreiche Schuljahre in der Landeshauptstadt verbracht, sondern auch als Student hier und in Murnau gelebt. Erst nach Abbruch seiner Studien und als Gegner der Nationalsozialisten zog er von den 30er-Jahren an wie ein Nomade durch Europa.

So lohnt sich auch für Lokalpatrioten die Spurensuche im Werk, wo dem Oberländer Hotelier, der die Murnauer Sommerfrischer ausnimmt, in "Zur schönen Aussicht" ein Denkmal gesetzt wird. Verweise auf das literarische Nachleben einer klumpfüßigen Bäckersfrau in der Münchner Türkenstraße oder des heute noch existierenden Schellingsalons in der Maxvorstadt laden ein, vom Museum aus gleich zu einem Spaziergang aufzubrechen.

Die ganze Schau macht, liebevoll aufbereitet, große Lust zum (Wieder)lesen oder Neuentdecken des Romanciers und Dramatikers. Wer aber dann doch bei dem guten Vorsatz hängenbleibt, mal wieder ein Buch zu lesen, den tröstet ein Satz Horváths aus dem letztgenannten Stück: "Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu. "

ZUR INFO
Die Ausstellung "Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur - Ödön von Horvath und das Theater" ist bis 17. November im Deutschen Theatermuseum täglich außer montags von 10 bis 16 Uhr zu sehen. Auf Münchner Bühnen gibt es in den nächsten beiden Monaten am Teamtheater Tankstelle die Tragikomödie nach Horváths Erzählung "36 Stunden", am Volkstheater "Glaube, Liebe, Hoffnung" sowie in den Kammerspielen den Abend "Denn wir werden uns glänzend rechtfertigen, weil wir doch radikal unschuldig sind" zu sehen.

Sabine Busch-Frank