London
Theresa Mays Regierung bröckelt

Mit Priti Patel verliert die britische Premierministerin schon das zweite Kabinettsmitglied innerhalb einer Woche

09.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:14 Uhr

London (DK) Wenn es regnet, so ein englisches Sprichwort, dann schüttet es. Für die britische Premierministerin Theresa May hagelt es zurzeit Probleme. Am Mittwochabend musste sie wieder ein Mitglied ihres Kabinetts entlassen, nachdem Verteidigungsminister Michael Fallon bereits wegen sexueller Belästigung zum Rücktritt gedrängt worden war.

Der zweite Rücktritt innerhalb einer Woche betrifft die Entwicklungsministerin Priti Patel (Foto). Sie hatte gegen den Verhaltenskodex für Minister verstoßen, indem sie eine geheime Israel-Politik betrieb.

Als Nachfolgerin bestimmte May gestern Penny Mordaunt. Die 44-jährige Marinereservistin gilt als entschiedene Brexit-Befürworterin. Trotzdem: Nicht nur in London setzt sich immer mehr der Eindruck fest, dass Theresa May eine Premierministerin auf Zeit ist. In Brüssel werden jetzt, so meldete die "Times" gestern, Pläne vorbereitet für die Möglichkeit eines Regierungskollaps noch in diesem Jahr.

Sie bedauere, sagte Priti Patel in ihrem Rücktrittsschreiben, dass "meine Aktionen nicht den Standards von Transparenz und Offenheit genügt haben". Die Entwicklungsministerin bezog sich auf eine Reihe von Treffen mit israelischen Regierungsmitgliedern, darunter sogar mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die sie während ihres Urlaubs im August privat abgehalten hatte und von denen weder das Außenministerium noch Premierministerin May unterrichtet wurden. Patel wollte erreichen, dass Großbritannien Hilfsgelder für israelische humanitäre Missionen im Golan bereitstellt. Ihre geheime Privatpolitik verstieß gegen den Grundsatz der kollektiven Kabinettsdisziplin. Auch ihr Besuch eines Militärkrankenhauses im Golan war ein diplomatischer Tabubruch, denn Großbritannien erkennt die israelische Besetzung des syrischen Gebietes nicht an.

Nachdem Patel zwei weitere Treffen mit israelischen Ministern verschwiegen hatte, musste May die Reißleine ziehen. Die Premierministerin hat jetzt das Problem, dass Patel auf die parlamentarischen Hinterbänke zurückkehrt und ihr von dort aus das Leben schwer machen wird. Die 45-jährige Politikerin war eine prominente Brexit-Befürworterin während der Referendums-Kampagne und gelobte in ihrem Rücktrittsschreiben, "das Wort zu ergreifen für die große Zukunft, die Großbritannien als eine freie, unabhängige und souveräne Nation hat".

May muss eine weitere Destabilisierung ihres Kabinetts fürchten. Sowohl das Schicksal ihres Außenministers Boris Johnson steht infrage wie auch das Überleben ihres engen politischen Mitstreiters und Stellvertreters Damian Green. Johnson hatte mit einer unbedachten Äußerung die im Iran inhaftierte Britin Nazanin Zaghari-Ratcliffe in Schwierigkeiten gebracht. Die 38-jährige Mutter habe, so hatte Johnson bei einer parlamentarischen Anhörung gesagt, bei ihrem Iran-Besuch doch lediglich Journalisten ausbilden wollen. Das lieferte den iranischen Behörden den Grund, Zaghari-Ratcliffe erneut wegen Propaganda anzuklagen. Ihr drohen fünf weitere Jahre Haft. Gegen Damian Green läuft zurzeit eine Untersuchung wegen Vorwürfen sexueller Belästigung.

Für die gestern wieder aufgenommenen Brexit-Verhandlungen ist die Londoner Regierungskrise nicht hilfreich. Auf Brüsseler Seite kann man sich angesichts der Zerfallserscheinungen nicht sicher sein, ob Absprachen auch eingehalten werden können. May muss eine delikate Balance im Kabinett zwischen Brexit-Hardlinern und gemäßigten Ministern halten. Ihre Fraktion ist ebenfalls gespalten. Eine Handvoll Abweichler würden genügen, um Abstimmungen zu verlieren, die ab der nächsten Woche über das EU-Austrittsgesetz anstehen. Die Premierministerin hat nicht viel Spielraum für Kompromisse, während Brüssel harte Bedingungen stellt. ‹ŒFoto: Rousseau/dpa