Bamberg
Teamgeist und ein Plan führen zum Erfolg

Mit "Jugger" setzen Streetworker dem Kampf auf der Straße den friedlichen Wettkampf entgegen

28.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:46 Uhr

Auf den ersten Blick sieht es wie eine Schlägerei unter Jugendlichen aus, doch Jugger verfolgt einen pädagogischen Ansatz. - Foto: Ebener

Bamberg (HK) „Jugger“ sieht auf den ersten Blick wie eine Schlägerei unter Jugendlichen aus. Doch die junge Sportart verfolgt einen pädagogischen Ansatz. Streetworker in Bamberg machen sich das erfolgreich zunutze.

Ein Sportplatz in Bamberg. Die Sonne scheint. Die Vögel zwitschern. Ein paar Jungs üben mit einem Fußball Schüsse aufs Tor. Plötzlich stürmt eine Horde Jugendlicher das Spielfeld. Wie bei einem Gladiatorenkampf stellen sie sich gegenüber auf. „3, 2, 1: Jugger!“, schreit einer. Dann rennen die Jugendlichen aufeinander zu. Kurz vor einem Zusammenprall stoppen sie abrupt ab und versuchen einen am Boden liegenden Gegenstand in die Hände zu bekommen. Dabei attackieren sie sich mit Stöcken.

Am Rand des Sportplatzes beobachten zwei Streetworker der Stadt Bamberg den Tumult. „Prima gemacht, weiter so“, feuern sie die Gruppe an. Denn hier findet keine wilde Schlägerei statt, sondern es wird Jugger (gesprochen Dschagger) gespielt. Die junge Sportart ist eine Mischung aus Rugby, Handball und Fechten. Eine Art Rollenspiel. Nicht am Computer, sondern in der Natur.

„Bamberg ist eine der ersten bayerischen Städte, die Jugger gezielt in der Jugendsozialarbeit einsetzt“, sagt Stadtsprecher Tim-Niklas Kubach. Ein Team besteht aus bis zu acht Spielern, wobei höchstens fünf pro Runde im Spiel sind. Es gibt einen Läufer, der als einziger den „Jugg“ berühren darf und letztendlich die Punkte erzielen kann. Die übrigen vier Mitspieler sind mit verschiedenen, teils skurrilen Gegenständen ausgestattet, um den eigenen Läufer zu schützen. Die Spieler sehen dann wie moderne Ritter aus.

Seit 2003 gibt es in Deutschland eine eigene Jugger-Liga. In der von den Streetworkern gespielten Freizeitversion gibt es – anders als bei Turnieren – keine Schiedsrichter, die das Spiel von außen steuern. Die wichtigste Regel heißt deshalb in der Bamberger Variante: Fairness. So müssen die Jugendlichen von sich aus zugeben, sobald sie vom Gegner berührt wurden.

„Verdammt, ich wurde abgepompft“, ruft einer der Jugendlichen. Die Spielutensilien, die nur von weitem wie Schlagstöcke aussehen, werden als „Pompfen“ bezeichnet – und können niemanden verletzen. Sie bestehen aus einem Bambusstab, um den Isolierrohre aus Schaumstoff mit Klebebändern befestigt sind. Die Jugendlichen haben sie selbst nach einer Anleitung aus dem Internet gebaut. Wer „gepompft“ wird, muss sofort stehenbleiben und darf erst nach acht Sekunden wieder ins Spielgeschehen eingreifen.

Streetworker Thomas Neubert findet Jugger aus mehreren Gründen pädagogisch sinnvoll: „Durch Regelverstöße oder Streitereien zerfällt das Spiel sofort. Nur Teamgeist und ein Plan führen zum Erfolg“, sagt er. Das gelte schließlich auch fürs Leben. Mädchen und Jungs jeden Alters können es zusammenspielen. „Außerdem muss man nicht sportlich sein, jeder ist bei Jugger nützlich – als Läufer, Verteidiger oder Angreifer“, betont Neubert. „Jugger führt schnell zu Erfolgserlebnissen.“

Wie ein Sprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes berichtet, wird Jugger auch im Jugendstrafvollzug eingesetzt – damit sich die jungen Gefangenen gegenseitig besser vertrauen und es zu weniger Streitereien kommt.

Der unter den Spielern gefürchtetste Angreifer ist der Kettenmann: Der 19 Jahre alte Moritz Lintner schwingt eine lange Plastikkette, an deren Ende ein Ball aus Schaumstoff befestigt ist. „Alles Marke Eigenbau“, sagt er. Jeder, der von ihm mit der Kugel getroffen wird, muss zwölf Sekunden aussetzen.

Wöchentlich kommen 20 bis 30 Jugendliche zum Training. „Einen so großen Zuspruch hatten wir mit noch keinem Sportangebot“, sagt Neuberts Kollege Thomas Lauterbach. Die beiden Streetworker sind meistens an den sozialen Brennpunkten der Stadt aktiv. Drogen, Alkohol, Schule schwänzen – damit werden sie häufig konfrontiert. Dem Kampf auf der Straße setzen sie seit einem halben Jahr den friedlichen Wettkampf auf dem Sportplatz entgegen. Mit einem verblüffenden Effekt: „Zum Juggern kommen Jugendliche aus allen sozialen Schichten, was in der Jugendsozialarbeit nur ganz selten gelingt“, erzählt Lauterbach. Studenten, Abiturienten, Mittelschüler, Arbeitssuchende, benachteiligte Jugendliche – Jugger vereint sie in Bamberg alle.