München
Tausendsassa der Alternativ-Kultur

Daniel Hahn bringt neues Leben in alte Bahnen und Schiffe - Als Nächstes sind Flughafen-Teile an der Reihe

22.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:07 Uhr
Patrik Stäbler
Das Kulturschiff "Alte Utting" thront in München auf einer stillgelegten Eisenbahnbrücke. Derzeit sucht Daniel Hahn ein Gelände für die Weiterverwendung von ausgemusterten Fluggastbrücken und Boarding-Stationen des Münchner Flughafens. −Foto: Stäbler, Hahn

München (DK) Wer den kreativsten Kulturmacher Münchens in seinem Büro besuchen will, der kommt auf dem Weg fast zwangsläufig an einem Großteil seines Schaffenswerks vorbei.

Im Stadtteil Sendling geht es zunächst unter einer stillgelegten Eisenbahnbrücke hindurch, auf der die MS Utting thront - einst Ausflugsdampfer auf dem Ammersee, heute ein Kulturschiff, über das sogar die "New York Times" berichtet hat. Der Titel: "Is Munich Getting Cool? "

Nur einen Steinwurf weiter liegt das Gelände der ehemaligen Großviehhalle, wo früher Tiere aus halb Europa zum Schlachten angeliefert wurden. Heute stehen dort Dutzende graffitibesprühte Seefrachtcontainer, dazu ein Ausstellungspavillon, eine ausrangierte Tram und weitere Fahrzeuge. Bahnwärter Thiel heißt dieses alternative Kulturzentrum, benannt nach der Novelle von Gerhart Hauptmann. Hier findet sich auch das Büro von Daniel Hahn - in einer ausrangierten U-Bahn, vier Meter über den Boden.

"Ich renne heute schon den ganzen Tag der Zeit hinterher", sagt der 29-Jährige zur Begrüßung - und wirkt doch tiefenentspannt. Auch sein Handy, das im Fünfminutentakt vibriert, steckt er im Gespräch ein ums andere Mal in die Hosentasche zurück, um sich wieder der Geschichte zu widmen. Seiner Geschichte - die von Mut und Risiko handelt, von Lebensentwürfen und Lebensträumen, von Bahnen und Schiffen. Sowie, ganz aktuell, von Fluggastbrücken und Boarding-Stationen - doch dazu später.

Zunächst zum Teenager Daniel Hahn, der in München aufwächst, die Waldorfschule besucht und nach dem Abitur nicht weiß, wie's weitergehen soll. "Ich war auf der Suche nach dem, was ich im Leben machen will" - so sagt er das. Ein halbes Jahr arbeitet Hahn im Kinderheim, danach jobbt er bei einem freien Szenetheater. Eigentlich will er nur Geld fürs Studium verdienen, doch dort findet er seine Erfüllung - "auch, weil ich alles machen und viel ausprobieren durfte".

Im Dunstkreis des Pathos-Transporttheaters tut sich eine Gruppe Freunde zusammen, alle kulturell interessiert und experimentierfreudig. Sie gründen 2012 den Verein Wannda - eine Kurzform ihres Leitsatzes "Wenn nicht jetzt, wann dann? " Um einen eigenen Kulturbetrieb auf die Beine zu stellen, erstehen sie ein Zirkuszelt. Nach langem Suchen findet der Verein eine freie Fläche, wo er das Zelt sechs Monate bespielen kann - mit großen Erfolg. Auf dieses Prinzip der sogenannten Zwischennutzung setzt Hahn auch bei seinen weiteren Projekten - wenngleich nicht freiwillig: "Ich habe immer eine feste Spielstätte gesucht. Aber in München ist der Flächenbedarf so groß, dass es kaum Platz für alternative Kultur gibt. "

2015 eröffnet Hahn den Bahnwärter Thiel - im Zentrum der Kunstpavillon sowie ein ausrangierter Schienenbus aus dem Jahr 1952, der per Schwerlasttransport aus Berlin herangekarrt wird. Später kommen die Container und mehrere U-Bahn-Wagen hinzu. Heute finden dort Hunderte Veranstaltungen im Jahr statt - Partys, Lesungen, Theaterabende, Flohmärkte und Ausstellungen. Überdies gibt es auf dem Gelände Künstlerateliers, Gartenbeete, Proberäume und einen Jugendtreffpunkt. All das macht den Bahnwärter Thiel ist zu einer subkulturellen Enklave im Herzen der Stadt - über der jedoch ein schwertschwingender Damokles schwebt. Denn Ende 2022 endet der Nutzungsvertrag für das Areal, weshalb Daniel Hahn eine neue Heimat sucht - oder genauer gesagt: zwei Heimaten.

Denn auch die "Alte Utting", wie das Kulturschiff heute heißt, darf nur bis 2022 auf der Brücke bleiben. Den 40 Meter langen Ausflugsdampfer hat Hahn 2017 erstanden und vor der Schrottpresse bewahrt. "Wir haben das Schiff gekauft, bevor wir einen Standort hatten", sagt er. "Das war ein waghalsiges Projekt. " Im Sommer 2018 ist es dann so weit: Die "Alte Utting" wird getauft und etabliert sich rasch als weithin bekannte Attraktion.

Spätestens jetzt ist auch Daniel Hahn über die Stadtgrenzen hinaus bekannt - als Kulturmacher mit Fahrzeugfimmel, wenngleich er diese Umschreibung ablehnt. Denn eigentlich gehe es ihm ja um die Inhalte, das betont er immer wieder. "Wir wollen besondere Orte für Kunst und Kultur schaffen. Es geht mir nicht darum, immer spektakulärere Fahrzeuge zu sammeln. " Und doch kommt ihm sein Ruf mitunter zupass - etwa, als ihn unlängst eine E-Mail vom Flughafen München erreichte. Dort wird gerade das Terminal 1 erweitert, weshalb zwei Boarding-Stationen, zwei Fluggastbrücken und ein Fluggaststeg weichen müssen. Und weil diese aus Sicht des Flughafens zu schade zum Verschrotten sind, wandte man sich an Daniel Hahn, der sich sofort für das neue Projekt begeisterte.

Was er mit den Flughafen-Teilen anstellen wird? "Das ist noch offen, weil das stark vom Standort abhängt", sagt der 29-Jährige. Bei der Suche nach einer Fläche setzt er auf die Hilfe des Flughafens, der großes Interesse an einer Weiterverwendung der Teile hat. Eine Zwischennutzung wie im Fall der MS Utting schließt Daniel Hahn aber aus: "Diesmal kommt für mich nur ein fester Standort infrage. "

Patrik Stäbler