Tatort München: ''G'schlamperte Verhältnisse sind oft die stabilsten''

26.06.2015 | Stand 03.07.2019, 15:36 Uhr
Seit 1991 für den Münchner "Tatort" auf Verbrecherjagd: Miroslav Nemec (links) und Udo Wachtveitl. −Foto: Cornelia Hammer

München/Ingolstadt (DK) Seit 1991 gehen Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl im Münchner "Tatort" auf Verbrecherjagd. Die nächste Folge, "Die letzte Wiesn", ist ihr 70. gemeinsamer Fall. Er soll während des Oktoberfests ausgestrahlt werden. Wir sprachen mit den beiden Schauspielern über Teamarbeit.


Herr Nemec, Herr Wachtveitl, wie hat sich der Münchner „Tatort“ und Ihre Zusammenarbeit seit dem Start vor bald einem Vierteljahrhundert entwickelt?
Miroslav Nemec: Wir sind besser geworden, gut abgehangen. Wir waren Jungspunde und sind manchmal auf der Humorebene übers Ziel hinausgeschossen, haben die Sache vielleicht nicht so ernst genommen. Das tun wir jetzt. Wir sind auch in den schauspielerischen Mitteln besser geworden und in der gemeinsamen Arbeit, wo keine Routine herrscht, aber ein gutes Verständnis füreinander. Ich höre das manchmal auch von Zuschauern und Freunden, die sagen: „Toll, wie ihr euch entwickelt habt!“ Das darf man auch jemandem sagen, der 60 geworden ist.
Udo Wachtveitl: Es gab zwischendurch eine Phase, wo die Frotzeleien und das Private in den Hintergrund getreten sind. Das fand ich schade. Sonst wird es zum technokratischen Abarbeiten von Kriminalfällen, und das ist nicht der Grund, warum wir das machen und warum die Zuschauer einschalten. Man will Menschen sehen, die einen interessanten Fall lösen – aber eben Menschen, und die haben auch andere Dimensionen und Wahrheiten als das akribische Lösen eines Falles.

Wie aufwendig sind die „Tatort“-Dreharbeiten?
Wachtveitl: Wir drehen etwa viereinhalb Wochen pro Film, dann haben wir noch Kostümproben und Synchronarbeiten, kommen insgesamt also auf fünf Wochen. Das macht dann 15 Wochen pro Jahr mit 12- bis 13-Stundentagen. Während dieser Zeit kommt man zu gar nichts Anderem.

12- bis 13-Stundentage dürften für einen Spätaufsteher wie Sie nicht so einfach sein.
Wachtveitl: Das ist furchtbar!
 

"Mit dem Rollator auf Verbrecherjagd gehen..."


Können Sie sich denn ein Leben ohne den „Tatort“ vorstellen?
Wachtveitl: Natürlich. Ich hab’ ja auch vorher schon gelebt. Mit dem Rollator auf Verbrecherjagd zu gehen ist... – obwohl: Unsere Zuschauer werden ja auch älter. Man muss sich die innere Freiheit bewahren. Mein ganzes Leben steht unter dem Begriff der Autonomie. Man sollte sich niemals von irgendwas abhängig machen, weder im Privaten noch finanziell noch vom Selbstbewusstsein her; dass man also nicht nur eine Sache hat, aus der man seinen Lebensinhalt schöpft.

Sie machen sehr viel, aber in erster Linie kennt man Sie als den Kommissar Leitmayr im Münchner Tatort. Steht diese Rolle über allem?
Wachtveitl: Die steht halt in der öffentlichen Wahrnehmung ganz oben. Das drängt sich mehr ins Bewusstsein als eine schöne Hörbuchproduktion, die mich auch viel Zeit und Herzblut kostet. Sich darüber zu mokieren ist jedoch in etwa so sinnvoll, wie sich über die Schwerkraft aufzuregen.

Welchen Ansporn gibt es, weitere „Tatort“-Filme zu drehen?
Nemec: Nicht den Grimme-Preis (2002 für die Folge „Im freien Fall“; Anmerk. d. Red.), das ist lediglich eine Bestätigung. Der Ansporn ist ein inhaltlicher, ein didaktischer. Dass ich Menschen Inhalte auf meine Weise erzählen kann. Mir geht es ums gesellschaftliche Engagement, das ich habe.
 

"Die Themen soziale Ungerechtigkeit oder Kindesmissbrauch sind für Batic sehr emotionale Ausbruchsmöglichkeiten"


Wie viel vom privaten Nemec steckt in Kommissar Batic?
Nemec: Das hat Tradition durch den Kroaten. Seine Emotionalität wurde von der Redakteurin zu Beginn damals so angelegt. Ein Schauspieler arbeitet aus seinem eigenen Erfahrungsbereich, und das hat mit mir zu tun. Die Themen soziale Ungerechtigkeit oder Kindesmissbrauch sind für mich beziehungsweise für den Batic sehr emotionale Ausbruchsmöglichkeiten.

Sie haben 2013 beide in „Der blinde Fleck“, dem Film zum Oktoberfest-Attentat, gespielt. War das für Sie als Münchner etwas Besonderes?
Wachtveitl: Ich habe von dem Attentat erst am Morgen danach bei Theaterproben erfahren, eine schreckliche Sache. Den Drehbuchautor Ulrich Chaussy kenne ich schon sehr lange, wir haben schon lange vor dem Oktoberfest-Attentat viel zusammengearbeitet. Er war Rundfunk-Journalist, ich hatte als Jugendlicher meine ersten Sprechrollen. Ich finde es großartig, dass aufgrund seiner Recherchen dieser Film entstanden ist. Der Film ist sicher nicht allein verantwortlich, aber er hat eine große Rolle gespielt, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen wurden.
Nemec: Ich habe mich sehr gefreut, dass ich bei einem so wichtigen Thema für Gesamtdeutschland mitwirken durfte.

Herr Wachtveitl, Sie schreiben auch selbst Drehbücher. Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken gespielt, ein Drehbuch für den „Tatort“ zu schreiben?
Wachtveitl: Ideen gibt es, aber gleichzeitig auch ein Problem. Ich sähe mich sofort dem Vorwurf ausgesetzt, mir die bessere Rolle zuzuschreiben. Um dem zu entgehen, würde ich dem Miro die bessere schreiben. Daran kann ich ja überhaupt kein Interesse haben – also verbietet es sich von selbst.
 

"Eine Wurstsemmel in der Pathologie zu essen, ist nicht lustig"


Herr Nemec, Sie sind ein erklärter Gegner von zu viel Humor im „Tatort“. Was stört Sie daran?
Nemec: Der Humor ist wichtig, aber er darf kein Selbstzweck sein. Schauen Sie „Fargo“ von den Coen-Brüdern an. Der Film hat Humor, aber man lacht über Dinge, die Tiefgang haben. Wenn jemand dagegen in der Pathologie über der Leiche unbedingt eine Wurstsemmel essen muss: Das kann man machen, es ist aber nicht witzig. Udo und ich haben einen tiefgründigeren Humor und versuchen, Sätze zu finden, die das zum Ausdruck bringen.
 

Ihr nächster Fall spielt direkt auf der Wiesn. Ich stelle es mir nicht ganz einfach vor, in der Gegenwart von zigtausend Oktoberfest-Besuchern einen Film zu drehen.
Wachtveitl: Ich nenne diesen einen Drehtag auf der Wiesn einen Guerilla-Dreh. Wir mussten auf die speziellen Drehbedingungen dort reagieren und Kameraeinstellungen verwenden mit langer Brennweite, bei denen die Kamera nicht so gut zu erkennen war. Selbst das war schwierig, vor allem, wenn wir zu zweit aufgetaucht sind. Der Wiedererkennungseffekt war sehr groß, jeder hat ein Handy und die meisten wollten ein Foto und haben die Gelegenheit wahrgenommen. Die haben natürlich kein Gefühl dafür, dass man gerade arbeitet und nicht hundert Mal am Tag fotografiert werden will. Aber dem authentischen Touch des Films hat's gutgetan.
 

"Ein bisschen Apokalypse schnuppern am Wochenende"


In dem Fall flüchten Sie während der Wiesn nach Italien. Trifft das auch auf Sie privat zu oder gehen Sie aufs Oktoberfest?
Wachtveitl: Eine Zeit lang hat mich die Wiesn überhaupt nicht interessiert. Dann wohnte ich als junger Mann zwei-, dreihundert Meter von der Theresienwiese entfernt und bin öfter zum Frühstücken hin. An einem Dienstag um elf eine frische Brezn und einen frisch angerührten Obazdn und dazu einen Kaffee zu bekommen von einer noch nicht zu Tode genervten Bedienung, das war durchaus ein Genuss. Was ich manchmal gemacht hab', war ein bisschen Apokalypse schnuppern am Wochenende. Nach Mitternacht nachts durch die Wiesn zu gehen und dieses Scherbenfeld zu sehen, das waren starke Eindrücke. Mittlerweile habe ich ein völlig entspanntes Verhältnis zur Wiesn. Ich bin kein Fan, aber ich geh' hin, wenn sich's ergibt – meistens am Wochenende.

Haben Sie sich schon mal eine Frist gesetzt, wie lange sie den Münchner „Tatort“ noch machen wollen?
Nemec: Wenn Sie zehn Jahre mit einer Frau zusammen sind und gefragt werden, wie lange Sie mit dieser Frau noch zusammenbleiben möchten, denken Sie nicht daran, diese Beziehung zu beenden. Damit kann man es vergleichen. Das Wichtigste sind die Drehbücher: Wenn wir gute Bücher haben, ist es eine Freude, das Ganze immer noch besser zu machen.
Wachtveitl: Als wir anfingen, wollte uns die Rechtsabteilung des Bayerischen Rundfunks aus Gründen der Planungssicherheit zumindest für sechs Filme verpflichten. Schon damals haben wir gesagt: ,Nein, das machen wir nicht. Wer weiß, wie sich das entwickelt und wie gut wir uns verstehen?’ Inzwischen gibt es von beiden Seiten eine gut gepflegte Loyalität zu dem Projekt und zu guten Büchern, das reicht als Verlässlichkeitsbasis. Das ist im Übrigen ein schönes Beispiel dafür, dass „g’schlamperte Verhältnisse“ oft die stabilsten sind.
 

Zu den Personen


Am 1. Januar 1991 ging das „Tatort“-Duo Batic und Leitmayr erstmals auf Sendung. Der in Zagreb geborene Miroslav Nemec und der gebürtige Münchner Udo Wachtveitl erhielten den Zuschlag für die erfolgreiche ARD-Krimireihe nach einem gemeinsamen Casting in einem Biergarten in der Landeshauptstadt. Wachtveitl (56) ist auch ein gefragter Synchronsprecher. In vielen Hollywood-Produktionen war er die deutsche Stimme von Schauspielern wie Pierce Brosnan, Kiefer Sutherland und Michael Winslow. Miroslav Nemec (61) nahm mit 19 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft an und machte einen Abschluss als Fachlehrer für Musik. Vor seinem Einstieg beim „Tatort“ trat er als Bösewicht in den Krimireihen „Derrick“ und „Der Alte“ auf. 2012 veröffentlichte er seine Autobiografie „Miroslav – Jugoslav“.