Steinkirchen
Tante Emma wird zu Grabe getragen

Familie Sellmair-Lechner schließt "Kramer's Dorfladen" in Steinkirchen für immer

29.06.2021 | Stand 23.09.2023, 19:27 Uhr
Mehr als 30 Jahre versorgten Hedwig Ostermair (von links), Siglinde und Franz Lechner ihre Kunden mit Lebensmitteln aus Handel und Eigenproduktion. −Foto: Steininger

Steinkirchen - Von 1864 bis ins Jahr 2021 haben die Sellmairs und ihre Vorfahren die Fahne ehrbarer Kaufleute in Steinkirchen hochgehalten. Mit dem heutigen Tag aber ziehen Franz Lechner und Siglinde Sellmair-Lechner die Reißleine. Die Gründe dafür liegen zum einen im Bereich ihrer beider Gesundheit, zum anderen in der angekündigten Einstellung der Belieferung durch den Handelspartner Rewe und nicht zuletzt im drastisch gesunkenen Einkommen.

 

"Allein im Coronajahr 2020 sind unsere Erlöse um 25 Prozent gesunken", bedauert Franz Lechner (67) die Situation. Lechner, ursprünglich als Konstrukteur bei Krauss-Maffei und später als Verkaufsingenieur für Bosch tätig, wurde der Liebe wegen ein Teil der Sellmair-Dynastie. Im Jahr 1989 lernte Siglinde, damals Versicherungskauffrau, ihren Franz kennen. Im Jahr 1990 übernahmen beide den Laden von Siglindes Eltern Ludwig Sellmair und dessen Ehefrau Paula, die den Dorfladen über viele Jahre hinweg betrieben hatten.

Ludwig Sellmair war nebenbei langjähriger Gemeinderat für die UWG wie auch aktuell sein Schwiegersohn Franz Lechner, der seit dem Jahr 1996 für die UWG im Gemeinderat sitzt und von 2006 bis 2011 das Amt des Zweiten Bürgermeisters ausübte. Unterstützt wurden sie im Ladengeschäft durch Lechners Schwägerin Hedwig Ostermair, und bis zu ihrem achtzigsten Geburtstag räumte Franz Lechners Schwiegermutter Paula noch täglich die Regale voll. Also ein Familienbetrieb, wie man ihn heutzutage kaum noch vorfindet.

 

Familiär aber auch der enge Kontakt mit der Kundschaft, man kennt sich, man mag sich, wie auch überhaupt der Dorfladen ein Zentrum der Kommunikation bildete. Einen sozialen Treffpunkt, zum Ratschen, zum Austausch der neuesten Befunde aus der Hausarztpraxis oder zum Kritisieren der Entscheidungen der Kommunalpolitik. Denn wo sonst kann man auf kürzestem Weg seinen Ärger direkt bei einem Gemeinderat abladen, denn während einer Sitzung im Rathaus ist das Bürgern im Normalfall nicht gestattet. Aber neben den sozialen Belangen entsteht jetzt auch eine Lücke in der Nahversorgung der Bürger von Steinkirchen und Umgebung: Alle Einkaufsmöglichkeiten im Umkreis sind zwischen vier und fünf Kilometer entfernt. Das mag für jüngere Generationen kein Thema sein, für die älteren Mitbürger jedoch wird es Probleme geben. Manche Senioren hat Franz Lechner schon mal zuhause beliefert, und auch außerhalb der Öffnungszeiten hat niemand umsonst geklingelt, wenn man unbedingt noch etwas brauchte. Und im Dorfladen konnte man im Gegensatz zum Supermarkt auch mal anschreiben lassen, was eine Schublade mit etlichen Schuldzetteln füllte. "Unsere Kunden blieben uns aber in der Regel nichts schuldig", betont Siglinde Sellmair-Lechner. "Und zwar zu 99 Prozent", sagt ihr Mann.

Über 30 Jahre im Laden zu stehen, auch jeden Samstag und an allen Brückentagen, 51 Wochen im Jahr, das hat bei allen Beteiligten Spuren hinterlassen. Wegen der sinkenden Handelsumsätze mussten die Sellmair-Lechners ihr Sortiment durch sehr viel Eigenproduktion ergänzen. Marmeladen, Liköre, Aufstriche, Salate, Bratensülzen und nicht zuletzt Franz Lechners berühmte Party-Brezn sind aber arbeitsintensiv, bedeuten somit zusätzlichen Aufwand und noch mehr stehende Tätigkeiten, und das bei einem Stundenverdienst "von letztlich weniger als einem halben Mindestlohn" so Lechners Rechnung.

So trennen sich die Sellmair-Lechners mit einem lachenden und einem weinenden Auge von ihrem Dorfladen, sehr zum Bedauern von langjährigen Stammkunden wie Sofie Rottmair aus Steinkirchen: "Das ist eine Katastrophe für uns alle, die hier und in der Umgebung ansässig sind", bedauert sie die Schließung. "Das war ein super geführter Laden mit einem qualitativ hochwertigen Sortiment, insbesondere die hausgemachten Spezialitäten. Die Schließung ist einfach jammerschade!"

Vielleicht aber gibt es doch noch einen Funken Hoffnung: Die Familie Sellmair-Lechner ist bemüht, Nachfolger für eine künftige Nutzung ihrer Räume zumindest mit Metzgerei- und/oder Bäckereiprodukten zu finden, bisher leider aber ohne greifbaren Erfolg.

PK

Hans Steininger