"Tag der Trauer und des Schmerzes"

16.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:06 Uhr

Heimat der gefallenen Soldaten: Zwei der vier Toten waren in der Ingolstädter Pionierkaserne stationiert. - Foto: Rössle

Ingolstadt/Termes (DK) Der Krieg in Afghanistan ist 5000 Kilometer von Ingolstadt entfernt, am Donnerstag hat er die Stadt jedoch erreicht: Unter den vier Soldaten, die bei Angriffen der Taliban auf die Bundeswehr starben, sind ein 32-jähriger Hauptfeldwebel und ein 24-jähriger Stabsunteroffizier. Sie waren beim Gebirgspionierbataillon 8 in der Kaserne "Auf der Schanz" stationiert.

Pfarrer Hans-Tilmann Golde ist hin- und hergerissen. Einerseits wurde in der Pionierkaserne vereinbart, nichts zu den gefallenen Soldaten zu sagen. Andererseits würde der katholische Militärseelsorger, das ist deutlich herauszuhören, gerne das allgemeine Schweigen brechen. "Die Nacht war recht kurz", sagt er fast schon entschuldigend. "Aber ich darf nicht. Es tut mir leid." Immerhin: Golde geht an sein Telefon. Bei der Pressestelle des Bataillons ist niemand zu erreichen, auch in der Pionierschule hebt unter den bekannten Nummern niemand ab. Die Soldaten an der Wache lassen zwar ein Foto zu, dürfen aber genauso wenig etwas sagen.

Außerhalb des Zauns an der Manchinger Straße äußern dafür viele ihre Bestürzung über den Tod der Soldaten. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der in Ingolstadt zu Hause ist, spricht von einem "Tag der Trauer und des Schmerzes für ganz Bayern". Der regionale Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl (CSU) ist Mitglied des Verteidigungsausschusses und fliegt in der letzten Aprilwoche wieder nach Afghanistan. "Ich war tief betroffen, als ich die Nachricht gehört habe", sagte er am Freitag. "Es waren mutige Soldaten, die für uns und unsere Sicherheit gegen Terroristen gekämpft haben, dabei ihr Leben aufs Spiel setzten und es leider verloren haben."

Die beiden Männer gehörten den Gebirgspionieren an, lebten jedoch nicht in Ingolstadt. Wo sie daheim sind, wird laut Brandl aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen geheim gehalten. Ingolstadt war erst seit kurzem ihre militärische Heimat. Sie zogen heuer mit dem Bataillon aus Brannenburg in die neu gebaute Kaserne an der Manchinger Straße. Über viele Jahre hatte die Garnisonsstadt keine Einsatztruppen mehr, von jeher ist das Militär aber äußerst angesehen. Dass es sich um zwei Männer aus Ingolstadt handle, bringe die Geschehnisse in Afghanistan noch näher an die Region heran, sagt Brandl.

Mitgenommen sieht auch Albert Wittmann aus, als er Freitagmittag hilft, die Flaggen vor dem Ingolstädter Rathaus auf halbmast zu setzen. Der Bürgermeister kennt die Belastungen und Gefahren eines Auslandseinsatzes nur zu gut. Als Oberstleutnant war er in den 90er Jahren in Somalia im Einsatz. "Es ist ein wichtiges Zeichen, die Fahnen auf halbmast zu setzen", sagt der CSU-Politiker, "denn es ist hart, dass Ingolstädter betroffen sind. Mein Mitgefühl gilt den Familien."

An der Pionierkaserne hängen die Flaggen schon seit Donnerstagabend auf halbmast. Schlag zwölf Uhr zieht am Freitag ein Auto nach dem anderen daran vorbei. Der Schlagbaum der Kaserne ist geöffnet. Die Soldaten machen sich auf den Weg ins Wochenende, heim zu ihren Familien. "Das Traurige ist, dass die toten Kameraden nach zwei, drei Tagen aus den Schlagzeilen verschwunden sein werden", sagt einer aus der Truppe. Zwischenfälle bei der Ausbildung der Gebirgsjäger interessierten die Öffentlichkeit mehr als Menschenleben, klagt er.

Die Ingolstädter Gebirgspioniere gehören zur Gebirgsjägerbrigade 23 mit Sitz in Bad Reichenhall. Die Brigade löst derzeit andere Einheiten in Afghanistan ab. Waren vor einer Woche noch 200 der bayerischen Gebirgsjäger am Hindukusch im Einsatz, so sind es im Augenblick bereits 400. In wenigen Wochen sollen es 800 sein. Der Hauptfeldwebel und der Stabsunteroffizier aus ihren Reihen gehören zu inzwischen 43 deutschen Soldaten, die seit Beginn des Einsatzes am Hindukusch vor acht Jahren gestorben sind. Davon kamen 26 bei Anschlägen oder Gefechten ums Leben.

Unter den vier am Donnerstag gestorbenen Soldaten sind auch ein 33-jähriger Oberstabsarzt aus Ulm und ein 38-jähriger Major aus Weiden. In ihren Heimatstädten herrschen ebenfalls Trauer und Bestürzung. "Die Stimmung in den Kasernen ist bedrückt", berichtet Kapitänleutnant Daniel Auwermann vom Ulmer Kommando.

Soldaten gehören in der Stadt zum Alltagsbild. "Wir sind wie alle anderen auch zutiefst betroffen und sehr traurig, dass ein Arzt aus unserem Bundeswehrkrankenhaus bei diesem Einsatz ums Leben kam", sagt Oberbürgermeister Ivo Gönner. Ulm sei zwar seit Jahren an Auslandseinsätze der Soldaten gewöhnt. "Aber zum ersten Mal ist ein Todesfall eingetreten. Das macht uns sehr traurig."