Erding
Supermarkt für Asylbewerber

Flüchtlinge bekommen in Erding keine Essenspakete – stattdessen gibt es einen eigenen Laden

01.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:12 Uhr

Ein ganz besonderer Supermarkt: Erich Neueder steht in Bayerns erstem Lebensmittelladen für Asylbewerber in Erding hinter der Kasse und hebt mehrere Flaschen über die Ladentheke. An zwei Vormittagen in der Woche können sich die Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln eindecken. - Foto: Barth/dapd

Erding (dapd) Es sieht aus wie in einem normalen Supermarkt: Die Regale sind prall gefüllt mit frischem Gemüse, Eiern, Semmeln, Lammfleisch und Reis. Doch gewöhnlich ist das Geschäft in Erding nicht – es ist Bayerns erster Lebensmittelladen für Flüchtlinge.

Statt ihnen die im Freistaat üblichen Essenspakete auszuhändigen, bietet das Erdinger Landratsamt den Asylbewerbern eine andere Möglichkeit. An zwei Vormittagen in der Woche können sich die inzwischen 80 Flüchtlinge im Landkreis mit Nahrungsmitteln eindecken – in einem eigenen Supermarkt.

In der Ladenmitte stapeln sich die mit Waren überquellenden Einkaufskörbe. Abgerechnet wird nicht bar, sondern in Punkten. Pro Woche stehen jedem Asylbewerber 630 Punkte zur Verfügung, erklärt die Sprecherin des Landratsamts Erding, Christina Centner. Den Lebensmitteln sind wiederum verschiedene Werte zugewiesen. Für Gewürze etwa werden 15 bis 25 Punkte berechnet. „Das ist wie normales Einkaufen – nur mit einer anderen Währung“, sagt Centner.

Nach deutschen Beschriftungen sucht man hier vergeblich. Auch die Einkaufszettel der Kunden sind beispielsweise auf Persisch geschrieben. Vor dem Shop prangt ein Hinweisschild: Nur drei Kunden sollen sich gleichzeitig in den beiden Räumen aufhalten. Doch Verkäufer Erich Neueder sagt schmunzelnd: „Manche Regeln werden einfach nicht eingehalten. Dass nur drei Leute im Laden sind, ist schier unmöglich.“ Obwohl das Sortiment ausgewogen sei, sicherten sich die meisten ihre bevorzugte Ware direkt nach Ladenöffnung in der Frühe, erzählt Neueder.

Verkäufer Neueder scannt geschäftig Hackfleisch. Er berichtet, dass Neuankömmlinge in den Flüchtlingsunterkünften ab und an Probleme mit dem Punktesystem hätten. So auch eine Frau an der Kasse. Sie muss zwei Packungen Fleisch zurücklegen, weil ihr Guthaben nicht reicht. Stattdessen nimmt sie nur ein zusätzliches Wasser. „Ohne oder mit Gas“, ruft Neueder in den Verkaufsraum. Nach einem undurchsichtigen Handzeichen vermerkt er Wasser mit Kohlensäure in der Kasse. „Wenn es nicht mit Englisch geht, dann geht es mit Händen und Füßen“, klärt der Verkäufer auf.

Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) begrüßt „kreative Lösungen wie in Erding“. Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat dagegen kritisiert das Konzept. Im Freistaat gebe es flächendeckend Supermärkte. Es sei nicht notwendig, „in staatlicher Regie ein Parallelsystem für Flüchtlinge aufzubauen“. Zumal hierfür Mieten und Mitarbeiter bezahlt werden müssten. „Das kostet unnötig Geld und setzt nur die Ausgrenzung von Flüchtlingen aus der Gesellschaft fort, anstatt ihnen die Teilhabe zu ermöglichen“, argumentiert Thal.

Bei den umliegenden Landkreisen stößt der Lebensmittelladen auf großes Interesse. Und in Erding wird bereits ein zweiter Shop geplant. Auch die Asylbewerber schätzen die Einkaufsmöglichkeit, wie Centner versichert. Proteste wie derzeit in Würzburg oder Regensburg gebe es nicht. „Aber wir haben Glück mit der stadtnahen Lage der Unterkünfte, und damit, dass wir den Shop einrichten konnten“, sagt die Sprecherin. Dadurch seien die Flüchtlinge zufriedener.

Ein Asylbewerber aus Afghanistan erzählt, er habe schon mehrere Stationen durchlaufen, auch Nürnberg und München. Seine Bekannten dort seien neidisch auf die Erdinger Variante. „Wir können sehen, was wir möchten. Früher hatten wir keine Wahl“, sagt er. Damals habe es ein bis zwei Mal pro Woche Essenspakete gegeben.

Dem stimmt ein Landsmann zu. „Hier ist es besser, weil man selbst entscheiden kann, was man braucht“, sagt er. Seinen Namen möchte der Flüchtling aus Angst vor Repressalien in der Heimat nicht preisgeben. Er erzählt aber, dass er vor fünf Monaten mit seiner schwangeren Frau nach Erding kam. Seit das Baby da sei, profitiere die Familie ganz besonders von dem Lebensmittelladen. Dort würden Sonderwünsche erfüllt, wie Babynahrung ab dem vierten Monat. Einzig flexiblere Öffnungszeiten wünscht er sich: „Länger einkaufen, das wäre schön.“