München
"Suche nach individueller Identität und Halt"

Kathrin Müller, Gebietsreferentin des Landesamts für Denkmalpflege, über die Leidenschaft für historische Bauten

08.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:20 Uhr
Das Kreuztor in Ingolstadt ist eines der Wahrzeichen der Stadt und eines der rund 4500 Baudenkmäler in der Region, die in den Zuständigkeitsbereich von Kathrin Müller fallen. Die aus Backstein errichtete und reich verzierte Toranlage ist an diesem Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. - Foto: Hammer −Foto: Foto:

München (DK) An diesem Sonntag ist wieder der Tag des offenen Denkmals. Kathrin Müller (kleines Foto) ist seit Jahresanfang Gebietsreferentin des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (BLFD) für Ingolstadt und die Region 10. In ihren Zuständigkeitsbereich fallen rund 4500 Baudenkmäler.

 

Frau Müller, welchen Stellenwert genießt der Denkmalschutz tatsächlich?

Kathrin Müller: Das kommt ganz darauf an, wen Sie fragen. Ein Denkmalpfleger begegnet in seinem Leben wohl jeder Ausprägung von Wertschätzung: Da ist auf der einen Seite die alte Dame, die einen gar nicht mehr gehen lassen will, nachdem sie einem voller Stolz ihr Schmuckstück vom Keller bis zum Dach präsentiert hat und extra Kuchen gebacken hat. Und auf der anderen Seite der Eigentümer eines Stadels aus dem 16. Jahrhundert, der drauf und dran ist, mit der zum Stadel gehörigen Mistgabel auf einen loszugehen, weil man ihm ausreden möchte, das Gebäude abzubrechen. Zugegeben: Letzteres ist ein Extremfall, den ich als Gebietsreferentin noch nicht erlebt habe.

 

Das Motto lautet dieses Jahr "Gemeinsam Denkmale erhalten" - ist das Wunsch oder Wirklichkeit?

Müller: Beides. Denkmale erhalten ist eine Aufgabe, die sich nicht immer einfach umsetzen lässt und nur gemeinsam zu bewältigen ist. Gerade ein privater Eigentümer, der in der Regel nur einmal im Leben ein Denkmal instandsetzt, weil er es beispielsweise geerbt hat, steht erst einmal vor einer Riesenaufgabe. Da braucht er Rat und Hilfe von verschiedenen Seiten: ein erfahrener Architekt, qualifizierte Handwerker und Restauratoren und nicht zuletzt uns von den Denkmalbehörden. Ich habe schon genügend Beispiele erlebt, wo so in gemeinsamer Arbeit wundervolle Ergebnisse erreicht wurden. Das alles ist natürlich in gewissem Grad auch Wunschdenken, und die Wirklichkeit sieht manchmal anders aus. Aber wenn alle Beteiligten sich engagieren und miteinander reden - manchmal sich auch mühsam zusammenraufen - sprechen die Ergebnisse oft genug für sich.

 

Das öffentliche Bewusstsein für den Denkmalschutz hat sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nur zögerlich entwickelt. Wie sieht es aktuell aus?

Müller: Ich würde das vorsichtig positiv formulieren. Der Tag des offenen Denkmals mit seinen hohen Besucherzahlen ist das beste Beispiel dafür. Jedes Jahr machen sich in Deutschland am Tag des offenen Denkmals vier bis fünf Millionen Menschen auf den Weg - das sind mehr Menschen, als Berlin, München und Ingolstadt zusammengenommen an Einwohnern haben!
 

Betrachten wir ein aktuelles Beispiel aus Ingolstadt. Der im Hauruckverfahren beschlossene und vollzogene Abriss der Eselbastei, Teil einer Festungsanlage, hat viele Bürger vor den Kopf gestoßen. Muss die Politik aus wirtschaftlichen Erwägungen manchmal einfach handeln, ohne groß zu diskutieren?

Müller: Natürlich gibt es in der Welt auch andere Dinge als die Denkmalpflege, und die Politik muss immer unterschiedliche Faktoren berücksichtigen. Dass zugunsten wirtschaftlicher Interessen die kulturellen, historischen Werte manchmal auf der Strecke bleiben, ist leider bisweilen zu beobachten. Das Beispiel Eselbastei hat aber auch gezeigt, dass das nie funktioniert "ohne groß zu diskutieren" - wenn auch hier leider erst im Nachhinein.

 

Laut der Denkmalschutz-Charta hat der Bürger aber das Recht, an Entscheidungen über seinen Lebensraum teilzuhaben. Nehmen die Behörden diese Verpflichtung ernst?

Müller: Vollständig heißt es in der Europäischen Denkmalschutz-Charta von 1975: "Die Unterrichtung der Öffentlichkeit muss um so mehr gefördert werden, als der Bürger ein Recht dazu hat, an Entscheidungen über seinen Lebensraum teilzuhaben." Information der Bürger ist dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege ein sehr wichtiges Anliegen. Ich verweise auf die vielen Publikationen des Hauses. Der Bayerische Denkmalatlas informiert online über alle Bau- und Bodendenkmäler. Denkmalvermittlung ist meines Erachtens eine, wenn nicht die wichtigste Voraussetzung für bürgerschaftliches Engagement. Und auf dieses Engagement ist die Denkmalpflege angewiesen, wenn sie funktionieren will.

 

Es gibt immer mehr Bürgerinitiativen, die sich für den Erhalt von Denkmälern engagieren? Woher rührt diese Leidenschaft für historische Bauten?

Müller: Ein wesentlicher Punkt ist, glaube ich, die Suche nach individueller Identität und Halt. In Zeiten von Facebook, Google und Shoppingmalls wird alles in unserem Leben globaler, schneller, aber irgendwie auch gesichtsloser und unpersönlicher. Ein Relikt aus der Vergangenheit, das die Jahrhunderte überdauert hat, kann da wie ein Anker, wie ein Fels in der Brandung wirken.

 

Etwas schwieriger erscheint der Umgang mit Nachkriegsarchitektur aus den 60er- und 70er-Jahren, die oft als hässlich wahrgenommen wird. Wenn Sanierungen dann viel Geld verschlingen, heißt es schnell: weg damit! Beton und Stahl unter Denkmalschutz - das passt für viele Menschen nicht zusammen. Wie stehen Sie dazu?

Müller: Das ist, zugegeben, häufig nicht einfach zu vermitteln. Dass ein bauzeitliches Fenster mit barocken Beschlägen in einem Pfarrhaus aus dem 18. Jahrhundert unbedingt erhaltenswert ist, leuchtet vielen noch ein. In einem denkmalgeschützten Schulgebäude aus den 1960er-Jahren sind aber nun die Schiebefenster, die der Architekt eigens für diesen Bau entworfen hat, genauso schützenswert. Ich merke hier allerdings klar einen Generationenwechsel. Das Bayerische Denkmalschutzgesetz definiert Denkmäler als "aus vergangener Zeit" stammend. Die 50er- und 60er-Jahre sind für mich "vergangene Zeit" - ich bin Jahrgang 1979 -, und ich habe keine Schwierigkeiten, hier schon einen "historischen" Blickwinkel anzusetzen. Die Generation meiner Eltern sieht da hingegen nur die Gebäude, die in ihrer Jugendzeit einfach nur neu und hässlich waren. Aber, nicht vergessen: 2060 sind die Bauten von 1960 auch schon wieder 100 Jahre alt - sofern wir sie denn für unsere Nachwelt erhalten konnten.

 

Mitunter werden Bürger, die sich für den Denkmalschutz einsetzen, als Nervensägen und als naive Spinner hingestellt, denen der Sinn für die Realität fehlt. Hat das System?

Müller: . . . und die größten Spinner sind die vom Denkmalamt! Dieser Einstellung begegne ich immer wieder. Und bis zu einem gewissen Grad stehe ich auch dazu. Natürlich gehört ein gesundes Maß an Idealismus dazu, wenn man ein Denkmal, das eigentlich schon alle aufgegeben haben, wieder zum Leben erwecken will. Häufig erzählen Eigentümer mir, wie ihre Nachbarn sie angesichts ihres Idealismus für verrückt erklärt haben. Und umso stolzer sind sie, wenn sie zu guter Letzt ein vielleicht sogar preisgekröntes Kleinod besitzen, um das sie jeder beneidet!

 

Was braucht der Denkmalschutz Ihrer Meinung nach am meisten?

Müller: Na ja, ausreichend Geld wäre nicht verkehrt - wobei wir uns diesbezüglich in Bayern eigentlich nicht beklagen dürfen. Und, um noch mal auf die Frage nach der Politik zurückzukommen: Es ist immer gut, wenn kommunale Einrichtungen mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn es beispielsweise gelingt, ein historisches Rathaus mustergültig denkmalgerecht instand zu setzen, ist damit in der Region quasi eine Landmarke gesetzt, die schnell auch auf andere Kommunen und die privaten Denkmaleigentümer ausstrahlt.

 

Das Interview führte Suzanne Schattenhofer. Foto: BLFD