Stühle mit eingebauten Ohrenschützern

27.03.2008 | Stand 03.12.2020, 6:02 Uhr

Kann Musik Lärm sein? Ja, meint die EU und hat eine neue Richtlinie verabschiedet, die Orchestermusiker (wie hier das Bayerische Staatsorchester) vor zu großen Belastungen ihrer Gehörgänge schützen soll. Doch wie sieht das in der Praxis aus? - Foto: Hösl

München (DK) Bruckner, Wagner und Strauß – diese Namen bringt wohl kaum jemand mit dem Lärm von Flugzeugturbinen oder Presslufthämmern in Verbindung. Und doch, bestimmte Passagen aus den Werken der großen Meister belasten das Gehör mit vergleichbaren Spitzenschallpegeln. Bei Messungen in Orchestergräben und Konzertsälen sind Werte von 120 Dezibel und mehr festgestellt worden, die neue Verordnung sieht einen Schutz der Arbeitnehmer bereits ab 85 Dezibel vor.

Gottfried Sirotek, Oboist des Bayerischen Staatsorchesters, sieht "wenig Möglichkeiten, die fest installierten Gräben gerade in den älteren Opernhäusern zu erweitern". Er plädiert für die Verwendung von Plexiglas-Abdeckungen und Änderungen in der Orchesteraufstellung, die die Belastung für den Einzelnen minimieren. Sein Kollege Peter Wöpke leidet schon unter den Folgen der dauernden Strapazierung seines Gehörs: Der erste Cellist des Orchesters kann schon seit etwa 15 Jahren nicht mehr alle Frequenzen hören, "das Zirpen einer Libelle" liegt bereits außerhalb des für ihn wahrnehmbaren Bereichs. Dennoch benutzt er die Spezialohrstöpsel, die den Schall möglichst optimal für Musiker dämpfen sollen, nicht. "Sonst ist die Feinregulierung und der Kontakt zu den anderen Musikern schwierig", ohne den kaum ein einheitlicher Klang erzeugt werden kann. Am einfachsten ließe sich das Problem natürlich lösen, indem man zu laute Stücke vom Programm nimmt. Aber "dazu darf es nicht kommen", ist sich Wöpke mit seinen Kollegen einig, "dafür ist die Musik viel zu schön, davon leben wir ja".

Die gemessenen Spitzenwerte werden zum Glück die meiste Zeit über erst gar nicht erreicht. Als im Probensaal des Bayerischen Staatsorchesters die ersten Töne von Beethovens "Eroica" erklingen, scheint es kaum vorstellbar, dass auf diese Weise Gehörschäden entstehen. Aber schon im ersten "tutti" zeigt das Orchester, dass es in erstaunlich kurzer Zeit von piano zu fortissimo wechseln kann, vor allem zum Leidwesen der Holzbläser, die Schlagzeug und Blech hinter sich sitzen haben und so einer besonderen Belastung ausgesetzt sind. Trotzdem wird in Originallautstärke geprobt, schließlich möchte man beim Konzert nichts dem Zufall überlassen. Richtig ernst genommen wird die Neuregelung hier bis jetzt noch nicht.

Bis sich tatsächlich etwas tun wird in Sachen Gehörschutz, dauert es wohl noch ein Weilchen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat in Zusammenarbeit mit der DOV bereits einen Leitfaden erstellt, der die EU-Maßgaben praktisch umsetzbar machen soll, aber der ist aufgrund von bürokratischen Hindernissen noch nicht veröffentlicht. "Andere Länder wie England oder die Niederlande sind da schon viel weiter", bemängelt Mertens.

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sucht in der Zwischenzeit auf eigene Faust Lösungswege und setzt auf die ungewöhnliche Idee einer schwedischen Firma: Stühle mit eingebauten Ohrenschützern – so entspannen sich die Musiker nicht nur, wenn sie sich zwischen zwei Einsätzen zurücklehnen, sondern schonen auch ihr Gehör.