Ingolstadt
Strittiges Schulverbot für Smartphones

Handyverbot an Schulen: Eine Bestandsaufnahme

20.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:03 Uhr
Simone Fleischmann −Foto: privat

Ingolstadt (DK) Eigentlich gilt an Bayerns Schulen ein strenges Handyverbot. Vertreter von Eltern und Schülern stellen den Sinn dieser Regel nun infrage. Welche Argumente sprechen dafür, welche dagegen? Eine Bestandsaufnahme.

Simone Fleischmann (47), Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands: Simone Fleischmann plädiert dafür, den Schulen den Umgang mit den Smartphones weiterhin selbst zu überlassen. „Die Lehrer sind nicht überfordert mit der Ausnahmeregel“, betont sie. Eine Änderung der aktuellen Gesetzeslage sei daher nicht nötig. Vielmehr sollten Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam ein Medienkonzept für ihre Schule entwickeln. Dieser dezentrale Ansatz sei wegen der unterschiedlichen Ausstattung der Schulen wichtig. Wenn dort eigene mobile oder stationäre Computer für den Unterricht fehlen, seien die Smartphones der Schüler eine Alternative. „Entscheidend ist, dass die Schüler Medien in den Lernprozess einbauen“, erklärt Fleischmann. Für den optimalen Medieneinsatz im Unterricht müsse man die Lehrer entsprechend schulen. Die neuen Methoden sollten zum einen durch Fortbildungen vermittelt werden. „Wir brauchen aber auch Veränderungen an den Universitäten, wo die künftigen Lehrer ausgebildet werden“, findet sie. Wenn Schüler ihre Geräte in der Schule nicht zum Lernen benutzen, sollen Lehrer weiter Konsequenzen ziehen dürfen. „Grenzüberschreitungen müssen verfolgt werden“, meint Fleischmann. Das Ziel der Digitalisierung an den Schulen muss in ihren Augen sein, „aus den Kindern medienkritische Nutzer zu machen“.

Martin Löwe (50), Landesvorsitzender des Bayerischen Elternverbands: Martin Löwe hält die aktuelle Regelung für „weder zeitgemäß noch demokratisch“. Die Möglichkeit, eine Ausnahme von der Regel zu machen, liegt derzeit alleine bei den Lehrern. Da sie „die Verantwortung scheuen“, würden nur wenige Gebrauch davon machen. Löwe schlägt vor, jede Schulgemeinschaft zu verpflichten, „die Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot selbst zu regeln“. Er empfiehlt, dass an weiterführenden Schulen das Schulforum – ein Gremium, das aus Schülern, Lehrern, Eltern, Schulleitung und Schulträger zusammengesetzt ist – entsprechende Entscheidungen demokratisch trifft. „An Grundschulen soll dies in die Hände von Lehrerkonferenz und Elternbeirat, an Berufsschulen in die des Berufsschulbeirats gelegt werden“, erklärt Löwe. Auf diese Weise würden „einzelne von Verantwortung entlastet und für die einzelne Schule passende Regelungen ermöglicht“. Die Diskussion über die Regeln innerhalb der Schülerschaft und die Erteilung eines Mandats an ihre Vertreter im Schulforum oder Schulbeirat würde die Schüler auch in ihrer Mitverantwortung stärken. Nach Löwes Ansicht nutzen Schüler Smartphones normalerweise verantwortungsbewusst und sinnvoll. Auch im Unterricht wünsche er sich deshalb eine stärkere Nutzung der Geräte.

Rainer Wenrich (53), Leiter des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZLB) der Katholischen Universität Eichstätt: „Wir neigen zu Schwarzmalerei“, sagt Rainer Wenrich über die hitzige Diskussion um die Smartphonenutzung an Schulen. Forderungen, die Geräte an der Schule komplett zu verbieten, hält er für überzogen. Schon ab der ersten Klasse gebe es sinnvolle Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel zur Recherche. „Es gibt auch Apps, mit denen man auf Fragestellungen der Lehrkraft reagieren kann“, erklärt er. Doch ganz ohne Regeln geht es nicht. „Deshalb sind klare Signale wichtig, was verboten und was erlaubt ist.“ Die Lehrer müssten dabei viel Verantwortung übernehmen. Umso wichtiger sei, dass die Universitäten sie „reisefertig machen“. Das oberste Ziel müsse bleiben, Lernumgebungen zu entwickeln, in denen die Schüler Medienkompetenz erwerben können. Dazu gehört auch, vor einem überzogenen Einsatz zu warnen, „der negative Folgen für Körper, Psyche, Rechtschreibung und Haptik hat“. Zudem gehöre die Aufklärung über Datenschutz und Persönlichkeitsrechte auf den Lehrplan. Das Kultusministerium lasse Schulen und Universitäten bei der Umsetzung genug Spielraum. Medieneinsatz sei nämlich kein Wert an sich: „Unterricht wird durch Handys nicht automatisch besser“, betont Wenrich. Für einen sinnvollen Einsatz brauche es vor allem tragfähige Konzepte.

Florian Schwegler (17), Landesschülersprecher der Gymnasien: Einmal ist das Handy von Florian Schwegler in diesem Schuljahr im Unterricht bisher zum Einsatz gekommen. „Wie man mit dem Smartphone umgeht, wird zurzeit an der Schule nicht vermittelt“, findet er. Es gebe zwar Lehrer, die durch ihr Engagement herausstechen würden, aber der Großteil bräuchte Fortbildungen. Deshalb fordert der Landesschülerrat, dass das Schulforum beschließt, wie die Schüler das Handy an ihrer Schule nutzen dürfen. Schwegler plädiert für mehr Eigenverantwortung: „In der Pause ist es gerecht, dass jeder machen kann, was er will.“ Es sei „ein großer bürokratischer Aufwand“, dass er jedes Mal einen Lehrer um Erlaubnis fragen muss, wenn er seine Eltern anrufen will. Auch zum Recherchieren würde er das Smartphone gerne öfter benutzen. Cybermobbing ist für ihn kein Argument, das gegen eine Handynutzung an Schulen spricht, da „man dadurch nichts ändert“. Man müsse vielmehr die Schüler sensibilisieren und ein Bewusstsein für das neue Medium schaffen. Als Landesschülersprecher kritisiert er auch die digitale Ausstattung der Schulen. „Es gibt Investitionsbedarf“, findet er. Sinnvoll wäre die Anschaffung von Tabletcomputern, weil diese „flexibel und leicht zu transportieren sind“. Schwegler geht es um eine Anerkennung der Realität: „Nach der Schule habe ich mein Handy überall dabei“, betont er.

Georg Eisenreich (47), Staatssekretär im Kultusministerium: “Wir wollen die Chancen, welche die Digitalisierung bietet, für unsere Schülerinnen und Schüler nutzen, ohne die Risiken aus dem Blick zu verlieren“, sagt Georg Eisenreich (CSU). Deshalb habe Staatsminister Ludwig Spaenle für den Beginn des kommenden Jahres einen Runden Tisch mit den Vertretern der gesamten Schulfamilie angekündigt, bei dem auch besprochen werden soll, „wie sich die im Jahr 2006 verabschiedete gesetzliche Regelung zur Handynutzung an Schulen bewährt hat“. In den kommenden Jahren werde der Freistaat investieren, um die Weichen für die digitale Zukunft zu stellen. Im Rahmen des Masterplans Bayern Digital II seien im Haushalt 2018 Investitionen in die Schulen in Höhe von rund 200 Millionen Euro eingeplant. Mit dem Geld will die Staatsregierung den Informatikunterricht an den weiterführenden Schulen stärken, eine Fortbildungsinitiative starten, Kompetenzzentren für digitales Lehren und Lernen an bayernweit neun Universitäten einrichten sowie die pädagogischen Angebote im Bildungsportal „mebis – Landesmedienzentrum Bayern“ ausbauen. Im Haushalt 2019/20 sollen weitere Schritte folgen. „Dazu zählen Förderprogramme für die Kommunen, die auf mehrere Jahre angelegt sind.“ Die Kommunen, die in der Regel die Träger der Schulen sind, sollen einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag erhalten.

Manfred Spitzer (59), Direktor der Psychiatrischen Uniklinik Ulm und Leiter des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen: „Es ist sehr vernünftig, Smartphones an Schulen zu verbieten“, findet Manfred Spitzer. Es sei nachgewiesen, dass die Geräte der Grund für Bewegungsmangel, Haltungsschäden, Kurzsichtigkeit, Übergewicht, Bluthochdruck, Schlafstörungen sowie ein erhöhtes Risikoverhalten beim Geschlechts- und Straßenverkehr sind. Die Verwendung von Dating Apps fördere Gelegenheitssex und damit die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Im Straßenverkehr hätten Smartphones bei jüngeren Verkehrsteilnehmern den Alkohol als Unfallursache Nummer eins abgelöst. „Neben diesen körperlichen Problemen kommt es im seelischen Bereich zu Aufmerksamkeitsstörungen, Ängsten, Depressionen, Stress sowie zu geringerem akademischem Erfolg bis hin zum Schulversagen“, stellt Spitzer fest. Zudem würden Smartphones die Lebenszufriedenheit und das Mitgefühl gegenüber Eltern und Freunden vermindern. „Die Risiken und Nebenwirkungen sind umso ausgeprägter, je jünger die Menschen sind, die mit ihnen Umgang haben.“ Die Aufgabe der Schulen sei es, „Kinder in ihrer gesunden Entwicklung zu fördern und damit ihre Gesundheit zu unterstützen“. In den Unterricht mitgebrachte Smartphones „lenken ab, wie eine große deutsche Studie gezeigt hat“.