München
Streit im Rockermilieu eskaliert auf offener Straße

12.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:11 Uhr
Marcus da Gloria Martins, Sprecher der Polizei München, nimmt an einer Pressekonferenz teil. −Foto: Sven Hoppe/dpa/Archivbild

Eine Rocker-Attacke auf offener Straße in München macht Schlagzeilen. Hintergrund des Ganzen ist wohl ein aktueller Prozess am Landgericht München I. Dabei geht es um versuchten Mord.

Ein dunkler Transporter fährt auf einen am Boden liegenden Mann zu, fünf Männer gehen dann auf ihn und seine Begleiter los, verletzen ihn schwer - und verschwinden. Die Attacke, mutmaßlich von einer Rockergang begangen, macht Schlagzeilen im nicht für Rockerkriege bekannten München.

Bei der Angreifergruppe, so berichten es Münchner Medien, soll es sich um eine Abteilung der „Hells Angels“ handeln und bei dem 45-Jährigen, auf den die Männer losgingen, um einen Mann mit Verbindungen in die Türsteher-Szene und zu der konkurrierenden Rockerbande „Black Jackets“.

Die Polizei bestätigt, dass sich die Ermittlungen sich auf das Rockermilieu konzentrieren, die Abteilung für Organisiertes Verbrechen ermittelt. Mindestens drei der nach derzeitigem Stand fünf Angreifer seien namentlich bekannt.

Fünf zunächst festgenommene Männer seien inzwischen wieder auf freiem Fuß, sagt der Sprecher des Münchner Polizeipräsidiums, Marcus da Gloria Martins, am Freitag. Ihm zufolge gab es Durchsuchungen in fünf Häusern in der Landeshauptstadt.

„Wir haben konkrete Tatverdächtige, nach denen wir suchen“, sagt er zwei Tage nach der Tat. Was genau den Tatverdächtigen vorgeworfen wird und ob auch ein versuchtes Tötungsdelikt unter den Vorwürfen ist, kann er nicht sagen. „Es stehen mehrere Delikte im Raum“, darunter gefährliche Körperverletzung und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.

Am Mittwoch hatten die bislang nicht gefassten Täter den 45-Jährigen in der Nähe des Münchner Nordfriedhofs auf offener Straße attackiert - unter anderem mit einer zunächst nicht näher identifizierten Stichwaffe.

Als zwei Bekannte ihm zur Hilfe kommen wollten, näherte sich ein schwarzer Kleintransporter, der in die Gruppe und auf den am Boden liegenden 45-Jährigen zufuhr und mindestens einen der drei Männer berührte und verletzte. Danach stiegen die Insassen aus und gingen - gemeinsam mit den Tätern, die vorher schon den 45-Jährigen angegriffen hatten - auf die Gruppe los.

Die drei angegriffenen Männer kamen ins Krankenhaus, sind dort inzwischen aber nicht mehr, wie da Gloria Martins sagt. Mindestens einer von ihnen habe sich selbst entlassen.

Im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2019 hieß es zur Rockerkriminalität: „Generell ist die Lage in Bayern und überwiegend auch im Bundesgebiet derzeit eher ruhig.“ Die Rockerbanden zeigten sich „taktisch motiviert eher zurückhaltend“.

„Wir nehmen die Rockerkriminalität in Bayern sehr ernst“, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). „Nachdem es um erhebliche Delikte wie Zwangsprostitution oder Drogenhandel geht, haben wir auch in der Arbeit der bayerischen Polizei schon vor Jahren einen Schwerpunkt darauf gelegt. Im Gegensatz zu manch anderen Ländern im Norden sind in Bayern offene Konflikte innerhalb der Szene sehr selten.“

Gewalttaten hat es aber im vergangenen Jahr immer wieder mal gegeben. So wurden laut Verfassungsschutzbericht im Januar zwei Mitglieder der „Hells Angels MC Munich Area“ wegen gefährlicher Körperverletzung zu sieben Jahren und neun Monaten beziehungsweise sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im Februar attackierten Rocker mehrere Polizeibeamte nach einem Eishockeyspiel in Nürnberg.

Und auch der aktuelle Fall geht vor allem auf eine Auseinandersetzung vor Gericht zurück, wie Münchner Medien schreiben. Seit November 2019 läuft am Landgericht München I der Prozess gegen einen Mann aus dem Umfeld der „Hells Angels“. Er ist wegen versuchten Mordes angeklagt - an dem Mann, der nun auch am Mittwoch Opfer der Auto-Attacke wurde, und an dessen Bruder. Der Angeklagte soll den Brüdern 2015 in einem Münchner Club während einer Veranstaltung mit dem Titel „Istanbul Night“ nacheinander ein Messer in den Bauch gerammt haben.

In diesem Prozess tritt der nun am Mittwoch wieder attackierte 45-Jährige als Nebenkläger auf. Nach Medienberichten provozierte er die „Hells Angels“, dort immer wieder heftig. Die „Hells Angels“ wiederum reisen zu nahezu jedem Prozesstermin in so großer Zahl an, dass das Gericht jedes Mal Verstärkung von der Polizei anfordern muss.

Konkrete Hinweise darauf, dass nun von der gegnerischen Seite mit einem Racheakt gerechnet werden muss, hat die Polizei nach Angaben von da Gloria Martins zwar nicht. Aber: „Dass da womöglich Wechselwirkungen zu erwarten sind, ist nicht ausgeschlossen. Wir haben keine konkreten Hinweise, sind aber sehr wachsam.“

Bayerischer Verfassungsschutzbericht

dpa