Stau in Chinas Häfen wird zum Problem

23.06.2021 | Stand 23.09.2023, 19:21 Uhr
Schrauben halten die Welt zusammen. Doch selbst solche banal wirkenden Bauteile sind gegenwärtig eine umkämpfte Ware und erleben Preissprünge. −Foto: Unsplash

Aufgrund von Corona-Ausbrüchen sind seit Wochen für den Welthandel wichtige Häfen an der Südküste der Volksrepublik weit von ihrer Leistungsfähigkeit entfernt. Auch Unternehmen aus der Region kämpfen mit Verwerfungen, die durch die Lage in China weiter zunehmen. Sogar Schrauben könnten knapp werden.

Ingolstadt - Experten gehen infolge der in vielen Industrienationen sinkenden Corona-Zahlen von der weiteren Belebung der Weltwirtschaft aus. Doch das Virus bremst gegenwärtig den Container-Frachtverkehr gewaltig aus. Grund sind Infektionsherde an südchinesischen Häfen, die zu wochenlangen Sperrungen von Terminals geführt haben. Von wo aus sonst Kühlschränke, Anlagen, Rohstoffe und Bauteile in die Welt versendet werden, wird auf Sparflamme gearbeitet.

Wann sich die Situation in China normalisiert, ist schwer abzuschätzen. Wie das Institut für Weltwirtschaft in Kiel nun berichtete, nimmt die Zahl der vor China wartenden Containerschiffe rasant zu. In den letzten vier Wochen hat der Hafen in Yantian demnach lediglich 40 Prozent der üblichen Container verschifft. Ähnlich sieht es in Shenzhen aus. Der bedeutende Hafen wurde von den Behörden infolge eines Corona-Ausbruchs für Tage geschlossen. Und Umleitungen zu anderen Häfen führen nicht zu Entspannungen, sondern noch zu steigenden Wartezeiten. Betroffen sind die Häfen in Shekou, Nansha, Hongkong.

Auswirkungen auf die Region

Die Geschehnisse in China sind eine weitere Belastung der weltweiten Lieferarchitektur - und könnten auch Unternehmen in Deutschland und der Region treffen. Eine Produktgruppe, die vornehmlich aus Fernost kommt, ist Unterhaltungselektronik. Haushaltsgeräten oder Smartphones werden meist in China oder Japan gefertigt. Europas führender Consumer-Electronics-Händler MediaMarktSaturn gibt sich gegenüber unserer Redaktion entspannt: Selbstverständlich beobachte man die aktuelle Lage sehr genau und analysiere permanent den internationalen Markt. Der Konzern betont aber: "Derzeit haben wir keinen Engpass. In unseren Märkten und Lagern ist ausreichend Ware vorhanden."

Da klagt die chemische Industrie lauter. "Grundsätzlich haben wir im vergangenen und in diesem Jahr Verwerfungen in den weltweiten Lieferketten und am Markt gespürt. Auch wenn sich derzeit in einzelnen Bereichen eine gewisse Entspannung abzeichnet, kann von Entwarnung oder ,Normalisierung' leider noch keine Rede sein", erklärt Harald Wack, Geschäftsführer der Wack Chemie GmbH in Ingolstadt. Es gebe weiter Engpässe bei Grundchemikalien, Rohstoffen und sogar Verpackungsmaterialien. Einer der Gründe für die derzeitige Situation lag aus seiner Sicht in der schnellen Erholung des Automarktes in China, "der viele überraschte, indem sehr viele Rohstoffe aus dem Weltmarkt gesaugt wurden. Die Folge waren und sind Verwerfungen und schmerzhafte Preissteigerungen." Wack selbst hat bereits Kontakt zu Kollegen in Shenzhen gehabt, die derzeit wieder im Voll-Lockdown seien. "Wir haben aber frühzeitig unsere Lagerbestände vergrößert und sind nun von den aktuellen Schwierigkeiten an den dortigen Häfen weniger betroffen."

Ein anderes Beispiel ist die Automobilindustrie: Seit Monaten fehlenden hier Teile wie Halbleiter. Bei Audi beispielsweise kam es mehrfach zu Produktionsausfällen, da elektronische Bauteile fehlten. Nicht viel besser erging es der Konkurrenz. Ob sich die Wirrungen an Chinas Umschlaghäfen auf Audi auswirken, ist ungewiss. Am Mittwoch war keine Stellungnahme zu erhalten.

Kleine Teile, große Sorgen

Bei Intertec Hess in Neustadt an der Donau nennt man die Lage "herausfordernd". Aktuell werde es sogar immer schwieriger, an sogenannte C-Teile zu kommen - also etwa einfache Schrauben. "Wir haben eine sehr hohe Fertigungstiefe und da kann es sein, dass schon ein einzelner Schraubentyp, der nicht mehr auf Lager ist, zu Problemen führt. Aktuell können wir relativ normal produzieren, aber bei manchen Aufträgen könnte es zu Verzögerungen kommen, da Vorlieferanten Teile aus China nur bedingt exportiert bekommen." Geschäftsführer Martin Hess, dessen Firma unter anderem Schutzdächer und Gehäuse produziert, berichtet von Preissteigerungen von bis zu 25 Prozent. "Diese Entwicklungen gab es schon vor den aktuellen Vorkommnissen an den chinesischen Häfen. Doch die Situation dort wird zu weiteren Spannungen in der Versorgungslage führen. Ich rechne nicht damit, dass wir 2021 noch eine vollkommene Normalisierung sehen."

Schlimmer als Suez-Stau

Wie dramatisch die Lage aus Sicht der Industrie ist, lässt sich an einem ähnlichen Vorkommnis festmachen: Erst Ende März havarierte mit der "Ever Given" eines der weltweit größten Containerschiffe mitten im Suez-Kanal. Der Frachter touchierte nach derzeitigen Erkenntnissen bei kräftigem Wind das Ufer, stellte sich quer und verkeilte sich. Rund eine Woche war die Seeroute, die vor allem von Schiffen aus Asien auf dem Weg nach Europa genutzt wird, dicht. Schnell war die Weltwirtschaft in heller Aufregung. Die derzeitigen Staus in China jedoch werden als wesentlich schwerwiegender für Warenverkehr und Industrieproduktion bewertet.

DK

Christian Tamm