Starke Persönlichkeit

24.11.2009 | Stand 03.12.2020, 4:28 Uhr

Charlotte von Mahlsdorf alias Lothar Berfelde, wurde brillant gespielt von Schauspieler Dominique Horwitz. - Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Eigentlich heißt sie Lothar Berfelde. Bekannt wurde er jedoch unter seinem Künstlernamen Charlotte von Mahlsdorf. Bist du ein Junge oder ein Mädchen, fragte schon der Wehrmachtsoffizier verwirrt, der den 16-Jährigen 1945 vor einem Erschießungskommando rettete.

Im praktisch ausverkauften Stadttheater Neuburg entsteht Stück für Stück, Geschichte für Geschichte das Bild eines ungewöhnlichen Menschen. "Ich mach ja doch, was ich will", das preisgekrönte Theaterstück des Amerikaners Doug Wright, berührt ungemein. Dominique Horwitz spielt Charlotte, nein – sie scheint ihm zur zweiten Haut geworden. Charlotte? Nun, der direkte Vergleich zum Original dürfte den meisten Zuschauern in Neuburg fehlen. Auf jeden Fall aber bietet Horwitz eine absolut überzeugende "One-Woman-Show für einen Mann", wie Autor Wright sein Stück nennt.

Wahrheit und Dichtung

Eingesponnen in ihre Geschichten, verliebt in ihre Möbel aus der Gründerzeit samt Museum, das ihr zum Lebensinhalt wurde, erweist sich Horwitz Charlotte als ältliche Dame, eher tanten- als tuntenhaft, zwischen Zielstrebigkeit und Pragmatismus schwankend. Auf den ersten Blick scheint sie schwach, mitunter kindlich-naiv, sie unterschreibt den Verpflichtungsvertrag als IM der Stasi offenbar ohne mit der Wimper zu zucken, verrät – allerdings auf dessen Drängen hin – ihren Freund, den Antiquitätenhändler Alfred Kirschner an die Stasi. Und doch hat diese ungewöhnliche Person etwas ungeheuer Starkes an sich. Schließlich überlebte sie Nazireich wie SED-Regime auf Stöckelschuhen. Sie fasziniert, lenkt, manipuliert und erzählt Geschichten. Lügengeschichten? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Vieles bleibt offen – im Leben der Charlotte von Mahlsdorf gibt es zahlreiche Widersprüche, denen wohl nicht einmal die nachgingen, die sie für das Bundesverdienstkreuz vorschlugen. Wright erzählt die Geschichte aus Charlottes Sicht, Wahrheit und Dichtung vermengen sich dabei, und zwar in doppelter Weise, denn er greift zum einen auf seine Interviews mit Charlotte zurück, behält sich selbst aber auch eine gewisse dichterische Freiheit vor.

In all dem Gründerzeitplunder des ersten Bühnenbildes könnte ein einzelner Schauspieler untergehen. Nicht so Horwitz. Höchst präsent brilliert er zwischen Grammofon und Phonographen, Schellackplatten und Möbelstücken, zu denen er jeweils eine Geschichte zu erzählen weiß. Doch nicht nur als Charlotte kommt der vielseitige Schauspieler authentisch rüber. Einfach genial, wie übergangslos und doch für das Publikum deutlich erkennbar er in weitere 29 Rollen schlüpft, darunter die des Autors. Ob Mann, ob Frau, Stiefel bewehrter Soldat oder Nachrichtensprecher, gefolterter Häftling oder Kultursenator – Horwitz beweist ungeheure Konzentration, die er seinem Publikum gleichermaßen abverlangt.

Fein nuanciert

Er wirkt umso eindrucksvoller, je sparsamer er seine Mittel einsetzt. Bewegungen, Gestik, Mimik, Sprache – alles bleibt fein nuanciert. Schrill, ja skurril, so ließe sich Charlotte beschreiben, aber auch als Mann der leisen Töne, was punktgenau eingesetzte Licht- und Toneffekte nur unterstreichen. Autist? Masochist? Vatermörder? Retter von Schloss Friedrichsfelde? Sie wurde vieles geheißen, vieles stammt von ihr selbst.

"Ich mach ja doch, was ich will" ist nicht nur großartiges Theater, es macht auch Lust auf mehr. Dahinter schauen, nachlesen, Fiktion und Wirklichkeit ergründen, das mag sich mancher Zuschauer vorgenommen haben. Charlotte wird sich ihre schwarzen Strümpfe anziehen und so zufrieden wie hintergründig lächeln. Die Dramaturgie stimmt – bei ihr und Regisseur Torsten Fischer vom Renaissance-Theater Berlin.