Ingolstadt
Stammelnder Besserwisser

Rolf Miller überzeugt bei den Ingolstädter Kabaretttagen

29.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:53 Uhr

"Ich nehm' mich selbst nicht so wichtig wie ich bin": Rolf Miller hält der Welt den Spiegel vor das Gesicht. - Foto: Wirtz

Ingolstadt (DK) Nach Jahrzehnten der Bühnenpräsenz im deutschen Kabarettolymp könnte man meinen, Rolf Miller hätte eine Midlife-Crisis: Der rechte Oberarm ist komplett übersäht mit Tattoos in den wildesten Farben und Formen. Erleichterung im Publikum ist spürbar, als er sich den Kostümstrumpf vom Arm herunterzieht.

Zum Glück nur ein Teil der Show. Mit "Alles andere ist primär" ist Rolf Miller am Samstagabend zu Gast in der Eventhalle im Rahmen der 34. Ingolstädter Kabaretttage.

Doch seine Illusion des "gemeinen Deutschen" ist perfekt: etwas einfältig, oberflächlich, vermeintlich tätowiert und breitbeinig dasitzend, während er aus sicherer Ferne das Zeitgeschehen kommentiert. Zwischendurch alte Heldengeschichten aus der eigenen Jugend. Früher war doch alles besser.

Rolf Millers Rolle versucht, sich in der Welt zu positionieren. Unabdingbar sind hierfür echte Freunde, einer besonderer als der andere. Jeder ist mit einem charakteristischen Spitznamen ausgestattet. Mit der riesigen Clique werden die spektakulärsten Sachen erlebt. Quantität ist bei der Aufzählung von Eigenschaften, Berufen, Hobbys und Äußerlichkeiten wichtiger als Qualität. Übertreibungen und unnötige Informationen liegen ihm völlig fern. Er versucht auch keinesfalls, sich anhand seiner Freunde vor seinen Zuhörern zu profilieren.

Bei der manchmal dümmlich daherkommenden Figur können schon mal Verwechslungen zwischen Enthaltungen und Enthauptungen bei Wahlen in Saudi-Arabien oder andere Wortverdreher auftreten. Das liegt vermutlich daran, dass sie ihr Halbwissen aus dem "Wiki-Dings" bezieht. Ding, Dings und Dinger gibt es in den Darstellungen des Nörglers zuhauf. Die moderne Welt strotzt nur so vor sprachlichen Stolperfallen und extravagantem Englisch, wer soll da noch den Überblick behalten? Als er von seiner Lieblingsband "Atzdatz" schwärmt, die mit ihrer Musik ganze Hallen abgerissen hat, ist es mit dem Verständnis des Publikums nun endgültig vorbei. Eine Erklärung tut not: Ach so, AC/DC!.

Und so geht das wortreiche Verwirrspiel mit Rolf Millers Alter Ego fröhlich weiter. Der U2-Frontmann wird zum Bonobo, Martin Schulz bespaßt als Prinz seine Karnevalsgesellschaft im Streit um die Sondierungen und Angelique Kerber verliert bei den Australian Open gegen Mike Tyson. Inspiration für seine mehr oder weniger sinnvollen Halbsätze, die neben seinem gackernden Lachen permanent für Lacher sorgen, holt sich Miller von Fußball-Interviews. Deren Protagonisten sind schöpferisch einzigartig und doch so selbstlos, dass einer von ihnen großzügig bekanntgab: "Ich nehm' mich selbst nicht so wichtig, wie ich bin."

Rolf Millers Analysen sind knallhart. Er geht über Grenzen - egal ob geografisch oder gesellschaftlich. Er zeigt, wie es heute zugeht: Falsche Informationen, die zunehmende Abhängigkeit vom Internet, Vorurteile gegenüber anderen und das Streben nach Geld und Erfolg machen das Leben kompliziert. Miller zerlegt den Menschen in seine einfachsten Bestandteile und beim Versuch, ihn wieder zusammenzusetzen, kommen die aberwitzigsten Bauernweisheiten, Wortneubildungen und Sprüche heraus. Ein grandioser Abend!