(reh)
Stadtgeflüster vom 31. Mai 2012

30.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:26 Uhr

(reh) Man darf davon ausgehen, dass Ludwig der Gebartete ein gutes Schlückchen nicht verachtet hat. Schließlich weilte der Herzog von Bayern-Ingolstadt viele Jahre direkt an der Quelle. Als Urahn von „Merkozy“ regierte er Ende des 14. beziehungsweise zu Beginn des 15. Jahrhunderts de facto Frankreich und genehmigte sich nach einem anstrengenden Tag am Hofe gewiss einmal ein Achterl Rotwein, oder mehr.

Damit der Wittelsbacher dieses herrschaftliche Ambiente auch daheim in Ingolstadt genießen konnte, ließ er bald am Nordufer der Donau das Neue Schloss in die Höhe ziehen. Seine Ingolstädter Untertanen müssen damals aber noch rechte Dorftrampel gewesen sein, die mit einem Beaujolais, Bordeaux oder anderen französischen Tropfen kaum etwas anzufangen wussten. Auf alle Fälle hatte Ludwig, oder einer seiner Nachfolger, irgendwann die Faxen dicke und erließ ein zweites Ingolstädter Reinheitsgebot (neben dem für Bier), das da lautete: In der Dürnitz im Neuen Schloss dürfe fortan keinerlei Getränk zu sich genommen werden, das wie Rotwein aussieht, riecht und schmeckt. Weil es der dekadenten Partygesellschaft früher wohl ziemlich schwer fiel, den teuren Holzboden rein zu halten.

Nur in äußersten Ausnahmefällen wird dieses Gebot aufgehoben, über das die späteren Schlossherren Ernst Aichner und inzwischen Ansgar Reiß bis jetzt wachten und wachen, als wäre es der Startcode für die Abschussrampe einer Pershing-Rakete. Nun war es aber tatsächlich wieder so weit. Die feinste Ingolstädter Gesellschaft durfte am Wochenende in den Schlossräumen den einen oder anderen Wein entkorken. Zu Ehren des Herrn Oberbürgermeisters, der seine Hochzeitsgesellschaft auf den historischen Boden geladen hatte.

Ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, wie sich jetzt mit Blick auf die Gästeliste sagen ließe. Denn immerhin war auch ein Herr dabei, den sie im Moment in der OB-Partei so sehr schätzen wie einen korkenden Merlot: der Landesvater persönlich, Horst Seehofer.

Nicht dass noch jemand im Überschwang der Gefühle auf die Idee kommt, und Herrn Seehofer als Dank für seinen Rüffel für die eigenen Leute noch den teuren Rotwein hautnah auf den Anzug serviert.

Die Einwände gegen solche Einlagen auf einer Hochzeitsfeier sind verständlich: Das würde sich doch niemand trauen! So etwas gibt es in der Ingolstädter Gesellschaft nicht! So geht man mit dem guten Rebensaft nicht um! Erinnert sei aber an einen tatsächlichen Zwischenfall im VIP-Raum der Saturn-Arena, bei dem eine Eishockeyspielerfrau fürwahr ihr Achterl Rotwein auf das blütenweiße Kleid einer Konkurrentin entleerte. Mit voller Absicht und vor aller Augen.

Doch der Besucher Seehofer verließ die OB-Party nach einem Aufenthalt, der mit einer Dauer von gerade mal einer halben bis zu einer vollen Stunde höchstens einer Chefvisite glich, tatsächlich trockenen Fußes. Den Rotwein genossen die CSUler weiter im Glas. Alles andere wäre ja wieder: von oben herab.