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Stadtgeflüster vom 29. Juli 2016

28.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:29 Uhr

(hl) Auch auf die Gefahr hin, die Hälfte der Bevölkerung gegen den heutigen Stadtflüsterer aufzubringen, muss an dieser Stelle aus gegebenem Anlass ein ohnehin oft verbogenes Nietzsche-Zitat nochmals abgewandelt werden: Gehst du zum Weibe, vergiss den Knebel nicht! Den Knebel, jawoll!

So - jetzt ist es raus. Tagelang haben wir mit uns gerungen, haben abgewartet, ob sich unser Groll doch noch legen würde, aber die Erinnerung ist doch zu stark: Als wir heute vor einer Woche abends friedfertig und still auf der Tillywiese saßen, um ein paar Takten unseres verehrten Herrn Beethoven zu lauschen, ja, da waberte rund um uns herum so eine akustische Wolke aus Wochenmarkt- und Friseurgesprächen, dass wir bei den leiseren Passagen von der Musik nichts, aber auch gar nichts mehr mitbekommen haben!

Neben uns drei junge Damen, die sich offenbar über alles, was sie soeben aus den Chatverläufen auf ihren Handydisplays aufgenommen hatten, in der Runde austauschen mussten, und schräg vor uns ein Stuhlkreis von Pensionären, in dem sich zwei Mittsechzigerinnen über zwei Nachbarn hinweg so viel zu erzählen hatten, als hätten sie sich zuvor ein halbes Leben lang nicht mehr gesehen. Ganz ehrlich: Da war man wirklich neidisch auf den alten Beethoven. Der war zum Schluss wenigstens derart taub, dass ihn solch eine Schnatterhorde bei Aufführungen seiner Werke nicht mehr gestört hätte.

Ja, ja, wir wissen schon: Sie erwidern jetzt etwas vom Picknickcharakter dieser Open-Air-Veranstaltungen und davon, dass damals in Woodstock ja auch nicht alle mucksmäuschenstill waren. Aber sagen Sie selbst: Zwischen dem Gekrächze vom seligen Cocker-Joe und dem Andante aus der 5. Symphonie liegen ja doch Welten. Und: Alles zu seiner Zeit!

Nächste Gelegenheit, sich bei einer Musikdarbietung in Ingolstadt mal so richtig in Rage zu reden, besteht übrigens schon heute Abend beim Open-Air der Georgier im Turm Baur. Da könnten wir uns zu Wagner und Mahler gut einen lautstarken Gedankenaustausch über die neueste Frisurenmode oder Rezepte aus der veganen Küche vorstellen. Meine Damen - greifen Sie an!