(peh)
Stadtgeflüster vom 28. Juli 2015

27.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:59 Uhr

(peh) Es fängt so harmlos an. Mit Carl Maria von Weber und der Ouvertüre zu „Oberon“. Und einer beiläufigen Unterhaltung unter vier jüngeren Erwachsenen, die es sich in unmittelbarer Nähe auf einer Decke gemütlich gemacht haben. Da ist es Freitagabend kurz nach Beginn des Klassik-Open-Airs auf der Ingolstädter Tillywiese.

Beim „Dschungelbuch“ ist dann klar: Die Herrschaften sind Audi-Mitarbeiter. Wobei das noch hemmungslos untertrieben ist. Genau in Hörweite sitzen offenbar absolut hundertprozentige Audi-Ultras, die durch die hymnischen, ergreifenden Auszüge aus den „Carmina Burana“ von Carl Orff in ihrem einzigen Gesprächsthema zu immer weiteren Verästelungen angestachelt werden.

Doch da geht noch einiges im Laufe des Abends, da geht sogar noch jede Menge. Denn was ein ultimativer Hardcore-Maniac der vier Ringe ist, der schafft es problemlos, diesen läppischen Richard Strauss und seine Einleitung zum „Zarathustra“ niederzulabern. Einfach totreden. Mit spannenden Geschichten, die das Presswerk so reindengelt. Man glaubt gar nicht, was man unter der Rubrik „Neulich in der Nachtschicht“ alles erzählen kann.

Tschaikowsky? Der doofe alte Russe ist doch selber schuld, dass er keine Überwurfmuttern für das neue Q-schlagmichtot- Cabrio gebaut, sondern so komische Musik geschrieben hat. Der Redefluss auf der Nachbardecke – es geht immer noch fast ausschließlich um Audi – schwelgt im Kampf gegen die Ouvertüre zu „Romeo und Julia“ zu einer Art akustischem Stalingrad an, worin anschließend Kurt Weill und sein „Mackie Messer“ hoffnungslos dem Untergang geweiht sind.

Dann, endlich, ein Bezug zur Musik! Weil da nämlich „der Schwiegervater von der einen Kollegin dera’ Tochter aus der Nacharbeit“ (Originalton!) auch bei der Bläserphilharmonie mitspielt. Oder mitgespielt hat oder noch spielen will. Auf jeden Fall ein Instrument quält. Welches? Das ist offenbar völlig wurscht, irgendeines halt. Sind ja keine Überwurfmuttern.

Rein lautstärkemäßig singt da auch ein Bernhard Hirtreiter in „Nessun dorma“ vergebens gegen diese verbale Überdosis an. Spätestens ab diesem Zeitpunkt kommt es – gruppendynamisch betrachtet – zu einer extremen Ausformung des Stendhal-Syndroms: Wahnhafte Bewusstseinsänderungen im Zuge einer kulturellen Reizüberflutung. Unter dem Stichwort „exogenes Audi/Tilly-Trauma“ wird dies später mit Sicherheit Stoff für etliche Habilitationen liefern.

Da erinnert sich der Konzertbesucher doch mit einer gewissen Dankbarkeit an das letzte Bonfire-Konzert, das alles war, nur nicht zu leise. Aber dafür garantiert frei von Unterhaltungen jedweder Art. Und unsereins geht in den nächsten Baumarkt und kauft sich Überwurfmuttern. Man will ja schließlich mitreden können, wenn man schon vom Konzert fast nichts gehört hat.