(tsk)
Stadtgeflüster vom 27. März 2017

26.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:25 Uhr

(tsk) Ein englischer Dockarbeiter soll vor 100 Jahren noch mit einem aktiven Wortschatz von rund 600 Wörtern ausgekommen sein. Das reichte wohl, um für ihn elementare Sätze wie "Schiff entladen", "Achtung, Kiste von oben!", "Wie viel kostet es, dass du meine Fracht aus den Büchern verschwinden lässt" oder "Hände weg von meiner Frau!" zu verstehen.

Im Deutschen brauchen wir zum Führen eines Alltagsgesprächs heute auch noch 400 bis 800 Wörter, wahrscheinlich geht's manchmal auch drunter - "ey, gehst du auch Literaturtage" Um beispielsweise Goethes Gesamtwerk wirklich zu verstehen, muss man einige Wörter mehr abrufen können. Es sollten schon 80 000 wohlgemerkt unterschiedliche sein, darunter etliche, die man heute weder als Dockarbeiter noch als Lokalredakteur verwenden würde. Mal ehrlich: Wissen Sie, was Zäserchen und Krabsfälligkeit bedeuten? Wir auch nicht. Dem Vernehmen nach sollen beide Begriffe einst als Synonym für Schwangerschaft gestanden haben.

Tageszeitungen wie der DONAUKURIER verwenden mehrere Tausend Wörter. Einfache Boulevardzeitungen kommen übrigens mit rund 400 unterschiedlichen Wörtern aus - da wird nichts von Zäserchen gefaselt oder "Wie hältst du es mit der Religion". Da wird auf den Punkt gebracht getitelt: "Gretchen schwanger!"

Die Reduktion kann zu kreativen Höchstleistungen führen, siehe Kammerspiel, Kubismus oder Zwölftonmusik. In einer Ingolstädter Facebookgruppe hatten sich einige Ingolstädter vor kurzem Gedanken darüber gemacht, was sie alles mit den neun großen Leuchtbuchstaben des alten Hallenbads anstellen könnten, die möglicherweise bald versteigert werden. Sollte irgendwann tatsächlich die Halle 8 renoviert werden, würden sich die Buchstaben als BANDHALLE gut über dem Eingang machen. Ein Café für Menschen mit hohem Gesprächsbedarf ließe sich BLA-LADEN nennen, ein exklusiveres Modegeschäft HALBADEL, und im Rockerschuppen BAD HELL würde sich bestimmt auch unser englischer Dockarbeiter wohlfühlen.