(kue)
Stadtgeflüster vom 26. April 2017

25.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:15 Uhr

(kue) "Weniger ist mehr!" Niemand weiß heute mehr, wer diese paradoxe Formulierung erfunden hat. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde diese Parole jedenfalls zum Credo beispielsweise von Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe. Heute füllen Bücher mit diesem Titel in Buchhandlungen ganze Regale. "Weniger ist mehr" scheint d i e Lösung für alle Probleme der heutigen Überflussgesellschaft zu sein, nicht nur für den Inhalt des Kleiderschranks oder des Einkaufswagens. Ob Kindererziehung oder Beruf, Schulreform oder Internationaler Währungsfonds. Das Erfolgsrezept heißt Beschränkung aufs Wesentliche, Bescheidenheit, ja Minimalismus.

Nur die Automobilbranche scheint davon noch nichts gehört zu haben. Unsere Fahrzeuge werden nicht nur immer komplexer und teurer, sondern auch breiter. Der Stadtrat von Passau reagiert jetzt darauf und macht die Parkplätze breiter, "um für die immer mehr werdenden massiven SUVs Platz zu schaffen", wie es in der Begründung heißt. Dadurch haben jetzt weniger Autos mehr Platz. Weniger ist also mehr - gleichzeitig ist aber mehr auch weniger, zumindest beim ruhenden Verkehr.

Beim fließenden Verkehr hat der Mathematiker Dietrich Braes schon in den 1960er-Jahren festgestellt, dass mehr Straßen nicht weniger, sondern mehr Verkehr verursachen. Im Umkehrschluss müssten also weniger Straßen auch weniger Verkehr bedeuten. Diese als Braes-Paradoxon bekannte Erkenntnis wird in Ingolstadt nun versuchsweise am ruhenden Verkehr erprobt. Die Gemeinnützige hat unter dem schönen Motto "fahrradfreundliches Wohnen" an der Goethestraße 45 Wohnungen mit 64 Radlá †ständern aber ganz ohne Parkplätze errichtet - ganz in der Hoffnung, dass weniger Parkplätze auch weniger Autos bedeuten. Sollte dieses Experiment scheitern, was in einer Autostadt nicht ganz auszuschließen ist, dann gilt dennoch der Satz, weniger ist mehr. Mehr Ärger mit den Nachbarn, deren Straßen zugeparkt werden. Es sei denn, sie entdecken die wohltuende Wirkung des Verzichts aufs Auto und steigen auch aufs Fahrrad um.