(rh)
Stadtgeflüster vom 24. Mai 2012

23.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:27 Uhr

(rh) Neulich beim Italiener im Südviertel. Das Lokal ist gut besucht. Gut ist gar kein Ausdruck, es ist rappelvoll. Die Kellner fliegen nur so hin und her, wissen kaum noch, ob an Tisch sieben die Pizza quattro stagioni mit oder ohne Sardellen geordert war und ob der Herr an Tisch neun vielleicht deshalb so grimmig schaut, weil das Weizen schlecht eingeschenkt ist oder die Ehefrau ihm soeben ein unangenehmes Geständnis gemacht hat.

Die Küche leistet Übermenschliches, der Pizzaofen glüht, die Wangen des Wirtes auch.

Mitten in dem lauten Gewurl aus behaglich kauenden, meist gut gelaunten und munter erzählenden Gästen: ein ganzer Tisch voller Zukunftsmusik. Kinderlärm, so heißt es ja, ist Zukunftsmusik. Egal ob bei 110 oder 120 Dezibel. Für die Eltern steht fest: Heute darf’s etwas mehr sein. Spiel ohne Grenzen in italienischem Ambiente, vor großem Publikum. Die Rasselbande gerät langsam völlig außer Kontrolle, springt auf Stühle, springt herunter, rennt schreiend, quiekend, hüpfend von Tisch zu Tisch, quer durchs Lokal, immer wieder, von einem Ende zum anderen. Nur keine Hemmungen. Die Eltern sind außer sich vor Entzücken, dass es ihren Kindern so gut geht. Man erwartet jeden Moment, dass sie selber anfangen, vor der Theke Purzelbäume zu schlagen.

Drei Herren mittleren Alters versuchen derweil verzweifelt, sich in dem dampfenden Hexenkessel auf ihr bescheidenes Nudelgericht zu konzentrieren. Eigentlich wollten sie sich an diesem Abend nett unterhalten, aber das müssen sie wohl umständehalber auf nächste Woche verschieben. Irgendeiner muss ja später mal unsere Rente bezahlen, sagen sie sich und ergeben sich in ihr Schicksal. Denn Kinderlärm ist schließlich Zukunftsmusik. Einen Schnaps auf Kosten des Hauses lehnt die Runde der stillen Zecher dankend ab. Herr Ober, bitte zahlen!