(tsk)
Stadtgeflüster vom 20. März 2018

19.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:40 Uhr

(tsk) Johannes B. Kerner, der eine oder andere wird sich vielleicht noch an den Fernsehmoderator erinnern, verbrachte 1993 nach eigenen Angaben eine Nacht im Gefängnis, weil er eines der damals an fast allen deutschen Bushaltestellen klebenden Werbeplakate von H&M mit der sich in Unterwäsche räkelnden Anna Nicole Smith gestohlen hatte.

Doch mit dieser notgeilen Tat rettete er womöglich Leben. Denn vielerorts gab es damals Unfälle, weil Autofahrer (und sehr wahrscheinlich auch viele Busfahrer) sich von den Plakaten derart ablenken ließen, dass sie dem Straßenverkehr eher untergeordnete Bedeutung beimaßen. Die sogar auf zwei großen Plakaten fast ganz nackt dargestellte Kate Moss sorgte 2006 in New York einige Zeit lang für Verkehrschaos, in Moskau war es 2014 ein durch die Straßen fahrender Transporter, auf dem zwei kaum bedeckte Brüste abgebildet waren. Nachdem es innerhalb von einem Tag mehr als 500-mal gekracht hatte, soll die russische Polizei den Transporter aus dem Verkehr gezogen haben. Dabei muss man inzwischen ja fast froh sein, wenn Autofahrer ihren Blick überhaupt noch für längere Zeit auf das, was draußen so vor sich geht, richten und von ihren Smartphones ablassen.

In der Tränktorstraße ist der Künstler Carlos Cruz-Diez womöglich auch deswegen noch einen Schritt weitergegangen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen: Er hat seine knallige Botschaft gleich auf die Straße gemalt, da kommt man gar nicht aus, selbst wenn man nur für kurze Zeit auf die Straße schaut. Etliche Autofahrer haben, seit der dreifarbige Zebrastreifen aufgetragen ist, schon eine Vollbremsung hingelegt und sich gefragt, ob das nun Straßenkunst oder Straßenverkehrsordnung ist. Und viele Fußgänger haben das Werk als vermeintlich sicheres Hilfsmittel zur Straßenüberquerung genutzt - Zusammenstöße sind da eigentlich nur noch eine Frage der Zeit. Wir wollten da nicht entscheiden, wer dann haften muss. Der Künstler? Das Museum für Konkrete Kunst? Die Stadt? Der oder die Angefahrene? Der Unfallverursacher? Helfen könnte jetzt nur noch einer wie Johannes B. Kerner (das B. steht übrigens für Baptist). Doch stehlen lässt sich der bunte Zebrastreifen nicht so leicht. Höchstens abwaschen.

‹ŒFoto: Felkel