(ada)
Stadtgeflüster vom 20. Juni 2017

19.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:55 Uhr

(ada) Wir Deutschen gelten ja im Ausland allgemein als wenig humorvoll, arbeitsam, pflichtbewusst, gesetzestreu und zur Griesgrämigkeit und Angst neigend. Das sehen wir natürlich ganz anders, denn eigentlich sind wir gar nicht so.

Zumindest nicht immer.

Doch wir haben natürlich schon unsere Eigenheiten. Dass man zum Beispiel hierzulande nachts allein auf weiter Flur mit seinem Auto an einer roten Ampel anhält, stößt bei Freunden, die uns gelegentlich aus Italien besuchen kommen, stets auf entgeistertes Kopfschütteln. Dort, zwischen Rom und Neapel, wo sie herkommen, hat so ein Ding ohnehin allenfalls dekorativen Charakter. Doch uns ist das egal. Vielleicht sind unsere Eigenheiten auch der Grund, warum wir so erfolgreich sind, und die anderen sind nur neidisch.

Dass anderswo das Leben oft etwas lockerer gesehen wird, zeigt ein Vorfall in Tunesien, über den wir dieser Tage in unserer Zeitung berichteten. Da hielt doch ein Lokomotivführer seinen Zug auf offener Strecke an, weil am Streckenrand einige Obsthändler ihre Waren feilboten und er offenbar Lust auf etwas Erfrischung hatte. Man kann das schon verstehen. Es ist heiß, auf der Lokomotive ist es noch heißer, und der Mann hatte Hunger und Durst. Was spielt es da für eine Rolle, ob so ein Zug jetzt ein paar Minuten später ankommt?

Bei uns ist so etwas natürlich völlig undenkbar. Hier zählt jede Minute, steht doch die Bahn im harten Wettbewerb mit Fernbussen und Flugzeugen. So wird sich ab Dezember, wie berichtet, mit der Inbetriebnahme der ICE-Neubaustrecke der Bahn durch den Thüringer Wald die Fahrtzeit zwischen München und Berlin auf unter vier Stunden verkürzen. Sogenannte Sprinter, die nur noch wenige Stopps einlegen, und Tempo 300 machen es möglich. Zu befürchten ist dabei allerdings, dass diese Züge dann auch an Ingolstadt, ohne anzuhalten, vorbeisprinten. Ein Ärgernis, das bereits bei bestehenden ICE-Verbindungen in den letzten Jahren immer öfter zu beobachten war und gegen das unsere Lokalpolitiker offenbar machtlos sind.

Vielleicht sollten wir es mal mit einer bayrischen Abwandlung der tunesischen Methode versuchen und am Bahnsteigrand einen Leberkassemmel-Stand oder dergleichen aufstellen? Vielleicht hält dann einmal ein hungriger Lokführer in der Schanz, und wir hätten auch etwas von der neuen Zugverbindung. Aber vermutlich ist so ein Sprinter dann so schnell, dass den Stand selbst der hungrigste Lokführer nicht wahrnehmen würde.