(ada) "Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus . . ." Mit leichter Wehmut gedenken wir der Zeiten, in denen Menschen voll romantischer Gefühle singend in die Natur ausschwärmten, um den Wonnemonat zu begrüßen. Es war im Jahr 1841, als Emanuel Geibel diese Zeilen dichtete, die in der Vertonung von Justus Wilhelm Lyra Generationen von Deutschen in den Frühling begleiten sollten und älteren immer noch im Gedächtnis haften.
Heute ist natürlich alles anders. Und das liegt nicht allein daran, dass die Bäume nicht mehr im Mai, sondern schon Anfang April oder gar im März ausschlagen. Nein, in unserer immer komplexeren Welt ist das einfache Wandern in lauer Luft ohne jeden Eventcharakter an sich kaum noch vorstellbar.
Wenn heute eine moderne Familie allradgetrieben mit dem SUV am Baggersee zur Durchführung eines Maiausflugs vorfährt, dann schreiten allenfalls noch Oma und Opa fröhlich durch die laue Luft voran. Während die Eltern dabei noch eher verstohlen auf ihre smarten Telefone schielen, stolpert der Nachwuchs leicht vornübergebeugt, mit den Augen die Mattscheibe fixierend, kästchenwischend hinterher. Eingesteckte Ohrstöpsel signalisieren zusätzlich, dass eine Kommunikation mit dem direkten Umfeld keinesfalls erwünscht ist. Ist man doch virtuell im Netz mit Leidensgenossen verbunden, denen es ähnlich ergeht. "Boah, krass. Megavoll langweilig hier!"
Doch offenbar gibt es einen neuen Trend. Zumindest, wenn man den Prospekten und Beilagen glauben darf, die einem derzeit von allen Seiten ins Haus flattern. Sogar beim Discounter um die Ecke werden plötzlich Zelte, Rucksäcke, Isomatten, Schlafsäcke und anderes Wanderzubehör angeboten. Anscheinend ist das Leben in der freien Natur, selbstverständlich ausgestattet mit dem passenden stylischen Equipment, wieder zeitgemäß. Ob die jungen Menschen dann des Abends auch kästchenwischend am Lagerfeuer vor dem Zelt sitzen und Botschaften ins Netz schicken? "Boah, krass. Megavoll cool hier!" Vielleicht nehmen sie ja dann sogar ihre Ohrstöpsel heraus und stimmen ein Lied an? "Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus . . ."
