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Stadtgeflüster vom 19. Januar 2017

18.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:46 Uhr

(rh) Die Berufsbezeichnung des Sitzredakteurs ist etwas aus der Mode gekommen. Sie entstand im 19. Jahrhundert, als kritische Presseleute sich im Kaiserreich nicht selten wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht wiederfanden. Die wilhelminische Justiz verstand in solchen Dingen keinen Spaß, weshalb die Zeitungsverlage sich gegen einen obrigkeitsstaatlichen Zugriff auf ihre personellen Ressourcen mit List zu wappnen wussten. So wurden pro forma nicht die unentbehrlichen Spitzenkräfte zu verantwortlichen Redakteuren ernannt, sondern eher minderbegabte Schreiber, auf deren Dienste man gegebenenfalls einige Wochen verzichten konnte, wenn wieder einmal eine Gefängnisstrafe drohte. Diese sogenannten Sitzredakteure hatten dann stellvertretend für das unbotmäßige Presseorgan Buße zu tun.

In Ingolstadt, so viel darf als sicher angenommen werden, ist schon lange kein Journalist mehr wegen Majestätsbeleidigung hinter Gittern gelandet. Und doch ist man als Lokalredakteur nicht dagegen gefeit, zur Zielscheibe juristischer Aktivitäten zu werden - auch und gerade in den Wochen der Neujahrsempfänge. Als der DK es vor einigen Jahren wagte, im Stadtgeflüster mit einer Rathausfraktion Schabernack zu treiben und in satirisch überspitzter Form eine frei erfundene Neujahrsrede des Vorsitzenden zu zitieren, wurde ohne Zögern der fraktionseigene Jurist in Marsch gesetzt. Der Anwalt forderte ultimativ eine öffentliche Erklärung, dass die zitierten Äußerungen so nie gefallen seien, ja dass diese Rede überhaupt nie gehalten worden sei. Andernfalls behalte man sich weitere Schritte sowie ernsthafte Konsequenzen vor.

Da die Zeitungen heutzutage, wie gesagt, von der Bestallung eines Sitzredakteurs abgekommen sind, war im Kollegenkreis guter Rat teuer. Schließlich konnte in bilateralen Friedensverhandlungen folgende Einigung erzielt werden: Der DK verzichtet darauf, öffentlich zu erklären, dass die Stadträtinnen und Stadträte dieser Fraktion zwischen einer Glosse und einem sachlichen Bericht nicht zu unterscheiden wissen. Statt einer strafrechtlichen Verfolgung blieb den Redakteuren der wertvolle Erkenntnisgewinn: Neujahrsempfänge der Parteien fallen zwar in die heiße Phase der närrischen Saison, haben aber - ebenso wie der Fasching - mit Humor nichts zu tun.